Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
und Wurst gehörten einfach zu meiner Kindheit und standen im Zentrum unserer Familien-Esskultur. Und so habe ich das dann auch gehalten, als ich selbst Kinder hatte. Erst als ich mich damit beschäftigt habe, ob wir nicht doch weniger Fleisch essen könnten, fand ich heraus, wie sehr nur Gerichte mit Braten, mit Steak oder Schnitzel in unserer Gesellschaft als »richtige« Mahlzeit gelten. Das ist fast so heilig wie das Auto.
Wenn ich in den Ferien zu meiner Großmutter fuhr, war das Willkommensritual immer das Vorstellen des Speiseplans für die folgende Woche. Sie machte Rouladen für mich, Rinderbrühe und mein absolutes Lieblingsgericht: Königsberger Klopse aus Hackfleisch, halb Schwein, halb Rind. Klassisch werden sie mit Sardellen zubereitet. Meine Großmutter kochte aber nach einem Rezept ihrer Mutter: Zitronenklopse, ohne Sardellen, dafür mit Zitrone abgeschmeckt. Die gab es immer, wenn ich bei ihr in den Ferien war. Ich habe sie geliebt. Seit einigen Jahren hat meine Mutter das Rezept übernommen und kocht es nun für ihre Enkel. Und auch für mich. Es gehört einfach zu uns. Die Kinder lieben es. Und die Oma liebt es, dass sie es lieben. Königsberger Klopse sind ein Teil unserer Familientradition.
Als ich sechs oder sieben Jahre alt war, machten wir Urlaub am Balaton und hielten auf dem Parkplatz einer kleinen Stadt, deren Markt wir besuchen wollten. Ich war gerade aus dem Auto ausgestiegen, als ich ein fürchterliches Quieken hörte. Ich konnte es erst gar nicht einordnen, bis mein Vater mir sagte, dass das wahrscheinlich ein Schwein auf dem Weg zur Schlachtung sei. Das Quieken dieses Schweines war schrecklich, es ging mir durch Mark und Bein, nie werde ich das vergessen.
Ich habe vor langer Zeit aufgehört, Schweinefleisch zu essen. Ich mag den Geschmack einfach nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Abneigung gegen dieses Fleisch mit diesem Erlebnis zu tun hat, möglich ist es.
Tiere, die man essen will, muss man töten. Das ist unabänderlich. Dessen bin ich mir vollkommen bewusst. Nur geschieht dieser Vorgang in der industriellen Massentierhaltung weit weg von uns. Wir erleben nicht, was das für das Tier bedeutet. Auf dem Parkplatz in Ungarn habe ich davon eine Ahnung bekommen.
Seit ich mich intensiv mit dem Thema Fleischkonsum auseinandergesetzt habe, verstehe ich, dass das Essen von Fleisch und Wurst eng mit den Themen Familie und Tradition verbunden ist. Mir wurde klar, wie sehr unsere Art zu essen von unserer Herkunft geprägt wird; von den Traditionen eines Landes, eines Landstrichs und vor allem auch von familiären Esstraditionen.
Bei uns heißt die Gelbwurst »Kinderwurst« und die Zwiebelmettwurst »Opas Lieblingswurst«. Das sind dermaßen eingeführte Begriffe, dass ich im Laden manchmal kurz davor bin zu sagen: »Und dann bitte noch 200 Gramm Opas Lieblingswurst.« Auch mit den Klopsen wird etwas von der Großeltern- an die Enkelgeneration weitergegeben. Wenn ich jetzt plötzlich fest legen würde, dass in diesem Haushalt nie wieder Fleischklopse verzehrt werden dürften, würde das meiner Mutter sehr viel Herzeleid bescheren. Und meinen Kindern auch.
Die Klopse bleiben also. Erstens, weil es schmerzhaft wäre, mit dieser Familientradition radikal zu brechen. Und zweitens, weil ich meine Kinder nicht ausschließlich vegetarisch ernähren will. Außerdem habe ich mich entschieden, mit meinen Eltern nicht mehr über Essen zu diskutieren, wohl aber mit meinen Kindern. Die ältere Generation ist verständlicherweise sehr geprägt von ihren Essgewohnheiten. Da fällt Veränderung sehr schwer. Kinder sind noch längst nicht so geprägt und Gewohnheiten verhaftet. Sie sind das Zukunftsprojekt.
Der New Yorker Schriftsteller Jonathan Safran Foer, mit dem ich über das Thema »Tiere essen« gesprochen habe, hat allerdings eine Sache entscheidend anders gemacht: Er hat seine Kinder von Anfang an vegetarisch ernährt. Ich habe das nicht gemacht. Und ich würde es auch künftig nicht tun. Ich versuche stattdessen, meine Kinder zu Flexitariern zu erziehen. Flexitarier sind Menschen, die nur gelegentlich Fleisch essen. Der Begriff beinhaltet aber auch die Fähigkeit, flexibel auf veränderte Bedingungen reagieren zu können und nicht auf eine bestimmte Art von Ernährung für immer zu bestehen.
Um zu sehen, ob und wie das funktioniert, versuchte ich eine vegetarische Woche. Die begann mit Schlittschuhlaufen an einem Sonntagnachmittag und dem damit verbundenen traditionellen Essen:
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