Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
ich? Flexitarier, die ab und zu Fleisch essen? Das hört man selbstverständlich gern.
Für Gola geht es um eine bessere Balance zwischen dem, was der Mensch braucht, und der Menge, die er isst. »Auf die 500 Gramm können wir noch eine Genusszulage drauflegen und kommen trotzdem auf eine substanzielle Reduktion.«
Ich erzähle ihr, dass ich das Gefühl habe, dass mein Körper manchmal einfach ein Steak will. Sie sagt, dass sie das von vielen Frauen höre, die generell wenig Fleisch essen. »Wenn du eine bestimmte Nahrung kennengelernt hast, dann hast du sie abgespeichert, auch von der Mikronährstoffzusammensetzung.« Wenn alle Nahrung zugänglich sei, hole sich der Körper, was er brauche und wenn er es brauche.
Ich erzähle von unserer vegetarischen Woche, und wie meine Tochter Mascha sagte: »Mama, warum machst du das?«
»Das hat sie sehr schön gesagt«, sagt Dr. Gola. »Essen stabilisiert uns. Den Bauch angenehm gefüllt zu haben heißt auch, Energie zu spüren, Wärme zu spüren durch die Thermogenese, also die Wärmebildung bei der Nahrungsaufnahme. Kochen ist Zuwendung über Nahrung, ist auch Kommunikation, Nähe, Liebe, Fürsorgen, Geben, Sinnlichkeit. Der Beginn einer persönlichen Annäherung zwischen Menschen geschieht oft über gemeinsames Essen. Man lädt ein zum Essen oder geht zusammen essen. Füttern heißt immer auch Zuwendung geben.«
»Und wer nicht füttert?«
»Wir haben im Deutschen nicht zufällig das Wort ›abspeisen‹. Wenn eine Beziehung zu Ende geht und derjenige, der sich bisher immer ums Essen gekümmert hat, plötzlich keine Lust mehr hat, für den anderen zu kochen, den anderen zu füttern: Das ist dann Entzug von Liebe und ein klares Zeichen.«
In diesem Moment beginne ich zu ahnen, dass meine Kinder die vegetarische Woche auch als Liebesentzug verstanden haben könnten. Ich frage: »Wie kriegt man eine Veränderung hin und kann jemanden dadurch auch inspirieren?«
Gola sagt: »Es gibt Grundzüge für eine gesunde Ernährung: Vielfalt; Bedarfsdeckung; überwiegend pflanzlich; keine große Nahrungsmittelgruppe ausfallen lassen; was wir an tierischen Produkten bei uns kulturell drinhaben, in Mengenverhältnissen essen, wie sie einem zusagen. Und als Prävention die Zahl von ›World Cancer Research‹, also ein Pfund Fleisch die Woche und 600 Gramm Gemüse und Obst pro Tag. Dazu Fisch für Jod, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren und als zusätzliche Quelle für Vitamin B12. Das ist der grobe Rahmen, wenn man andere mitziehen will.«
»Was passiert innerhalb dieses Rahmens?«
»Da geht es darum, für sich ein gutes Körpergefühl zu entwickeln und genau zu schauen: Habe ich Hunger, habe ich Durst, bin ich traurig, ist mir langweilig, habe ich Stress? Wenn ich entscheiden kann, ob ich wirklich Hunger oder Durst habe, kann ich meine Essbedürfnisse befriedigen und vermeide Rumfuttern ohne Grund.«
»Das klingt nicht allzu schwierig.«
»Sagen Sie. Aber wenn ich mich in ein Leben reinkatapultiert habe, in dem ich nicht mehr spüre, was ich brauche, weil ich nur noch fremdbestimmt bin, nachmittags um vier merke, dass ich morgens um neun eigentlich schon gern aufs Klo gegangen wäre, wenn das Anpassen, das Funktionieren im Mittelpunkt steht, ist es total schwer, zu fühlen, ob man Durst oder Hunger hat oder was man essen möchte.«
»Wie kommt man da wieder hin?«
»Erst mal muss man realisieren, dass der eigene entspannte Zustand etwas ganz Wichtiges ist und für andere etwas Ansteckendes hat. Entspannt und bei sich sein, das ist etwas, was viele wollen, wofür man Kurse besucht und meditiert.«
»Wenn man zwei Kinder hat …«
»… helfen Kinder, zu erden, schneller zu erkennen, was jetzt wichtig ist und was warten kann. In einer Familie vermittelt das gemeinsame Essen auch Geborgenheit, weil es mit anderen passiert. Das haben wir immer weniger und dafür zunehmend vereinzelte Esser, also immer mehr Menschen, die einsam vor sich hin essen.«
Früher habe sich die ländliche Großfamilie täglich mit Opa und Oma am Tisch getroffen. Man kriege speziell von den Kindern auch ganz viel Emotionales zurück, »dieses Theater am Frühstückstisch, dieses Bekleckern, etwas fällt um, und alle müssen la chen«. Sie redet sich in Begeisterung. Ich muss allerdings zugeben, dass es auch Momente gibt, in denen das Bekleckern und Umfal len von Trinkbechern bei mir nicht zu einem Lachanfall führt.
Ich erwähne den Schriftsteller Jonathan Safran Foer, und dass er versucht, seine
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