Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
hinzubekommen. Ich beschloss, mich von einer Ernährungsexpertin beraten zu lassen.
Ich bin mit Dr. med. Ute Gola nach Ende ihrer Sprechstunde im Endokrinologikum am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte verabredet. Gola ist Ernährungsmedizinerin, hat in Berlin studiert und später ihr eigenes Institut aufgebaut, das Dr. Gola Institut für Ernährung und Prävention. Sie ist auch Lehrbeauftragte für Ernährungspsychologie an der Universität Hohenheim.
Ich sage der Sprechstundenhilfe, dass ich keine Patientin bin, aber es nützt nichts. Sie schickt mich ins Wartezimmer, um mich dann aufzurufen: »Frau Paul bitte.«
Kurz darauf stelle ich meine Leitfrage: »Soll oder darf man Kinder ohne Fleisch ernähren?«
Ute Gola sieht mich ein paar Sekunden an, als schätze sie meinen Fall ein und überlege sich eine Therapiestrategie. »Man kann Kinder ohne Fleisch großziehen«, sagt sie dann vorsichtig. »Das setzt aber voraus, dass man sich mit Ernährung richtig auseinandersetzt.«
»Wegen des Proteins?«
»Protein ist kein Thema mehr, wenn Milchprodukte und Eier ausreichend gegessen werden. Aber Fleisch hat eine hohe Dichte an gut verfügbaren Mikronährstoffen. Eisen ist ein echtes Thema, gerade für kleine Kinder. Muttermilch enthält nur wenig Eisen, das aber sehr gut aufgenommen wird. Muttermilch ist ja qualitätsgesichert. Egal, was die Mutter täglich isst, die Milch hat immer eine bedarfsgerechte Zusammensetzung. Genial, wie die Natur ausgerüstet ist.«
»Solange der Säugling Muttermilch bekommt, ist die Eisenversorgung gesichert?«
»Ja. Sind die Speicher von Mutter und Kind zur Geburt schön voll, dann reicht Muttermilch zur Eisenversorgung fürs erste Halb jahr. Deshalb wird danach empfohlen, regelmäßig einen fleischhaltigen Brei zu füttern.«
»Das kann man nicht ersetzen?«
»Aus Fleisch kann der Mensch das Eisen, aber auch Zink und Selen leichter aufnehmen als aus pflanzlichen Quellen. Wie gut der Körper mit pflanzlichen Eisenquellen klarkommt, weiß man meist erst, wenn ein Mangel eingetreten ist.«
Man könne zwar viel kompensieren, aber speziell bei kleinen Kindern sei das sehr kompliziert.
»Für Kinder und Heranwachsende ist eine fleischhaltige Ernährung immer die sichere Ernährung«, sagt Gola.
»Warum?«
»Säugetiere haben das gleiche Aminosäurenprofil wie Men schen, damit sind alle Aminosäuren in einer Portion Fleisch. Und auch die Mikronährstoffe können besser aufgeschlossen und ver daut werden.«
»Wenn ich aber meinem Kind partout kein Fleisch geben will?«
»Dann können Sie auf Milchprodukte, Eier und Fisch zurück greifen. Sie können für eine gute Eiweißversorgung geschickt kombinieren: pflanzliche Produkte mit einem tierischen Produkt, das kein Fleisch ist. Das gibt vom Aminosäurenprofil eine gute Mischung. Zum Beispiel Kartoffeln und Ei. Oder wie in Indien Milchprodukte und Getreide.«
»Aber ein tierisches Produkt brauche ich?«
»Ich empfehle es unbedingt.«
Golas These ist, dass Kinder zwar nicht gleich krank werden müssen, wenn ihnen mal etwas fehlt, aber dass sie sich in einer bestimmten Phase möglicherweise nicht so optimal entwickeln, wie wenn sie alles hätten.
Wir sprechen über das Ausmaß des Klimawandels, die Abgründe der Massentierhaltung und die Frage, ob es nicht genug dringende Gründe gibt, fleischfrei zu leben. Sie sagt: »Massentierhaltung ist fürs Tier und die Umwelt eine Zumutung. Eine gute Ernährung des Menschen schließt die artgerechte Haltung und Fütterung von Tieren mit ein, deren Fleisch wir später essen. Für mich stellt sich damit nicht die Frage: Fleisch ja oder nein? Sondern: Wie viel Fleisch gönnen wir uns, wenn wir verantwortungsbewusst leben wollen?«
Sie sehe uns durchaus in der Verantwortung des Weltbürgers.
»Aber?«
»Aber wir sind auch Eltern.«
Und?
»Und als Mutter habe ich eine persönliche Verantwortung für meine Kinder, sie sind unmittelbar von mir abhängig. Ich entscheide für sie, bis sie es selbst können. Das ist meine biologische und soziale Pflicht. Natürlich muss ich als Weltbürger auch Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Aber das ist eine ganz andere Abstraktionsebene.«
»Was heißt das konkret?«
»Die Frage ist: Wird die Welt besser, wenn mein Kind einen Eisenmangel hat oder ihm Vitamin B12 fehlt?«
Das ist selbstverständlich eine rhetorische Frage, sodass ich sie nicht beantworte, sondern einen Schritt weitergehe.
»Heißt das denn, dass man sein Kind zwingen sollte, Fleisch
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