Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
Essverhalten zu verändern, dann ist das, als ob man als Dreißigjähriger lernen müsste, wie eine Schleife am Schuh gebunden wird. Es ist total mühsam.«
Für mich ist die Frage: Welche Rituale bewahrt man, welche führt man neu ein?
Ich sage: »Es geht ja darum, neue Traditionen zu begründen oder verlorene wiederzufinden. Wenn wir anders essen wollen, also weniger Fleisch, kein Industriefleisch, und das mit den Kindern nicht eingeübt haben, wie macht man das, ohne die Kinder zu quälen?«
»Man kann Kindern erklären: Wir essen alle zu viel Fleisch, dafür ist der Preis zu hoch«, sagt Ute Gola. »Oder ihnen erzählen, warum man Massentierhaltung ablehnt. Aber das ist etwas ganz anderes, als wenn man ihnen sagt: Ihr dürft kein Fleisch mehr essen. Ein Kind muss lernen dürfen: Worauf habe ich Appetit, was möchte ich essen, was schmeckt mir?«
Ich frage: »Wenn ich nun meine Kinder als Fleischesser ›angelernt‹ habe, wie kann man das reduzieren?«
»Essen die Kinder wirklich zu viel Fleisch? Oder nur die Erwachsenen? Ansonsten: Mit Fantasie und Geduld. Kinder sind ja der Prüfstein für unsere Fähigkeit zu motivieren. Letztlich beginnt die Veränderung aber immer bei mir selbst. Ich kann den Kindern kein Beispiel geben, wenn ich selbst nicht bereit bin, meinen Lebensstil zu ändern. Und ich brauche mehr Zeit für Kinder, ich muss sie mit einbeziehen.«
»Was heißt das konkret?«
»Ich sage zu ihnen: ›Hört mal, wir wollen nicht mehr so viel Fleisch essen, was kann man denn da machen?‹ Kinder haben oft gute Ideen und sind motiviert bei diesem Thema. Wenn eine Familie sich entscheidet, eine Weile vegetarisch zu leben, weil die Kinder oder die Eltern das so wollen, dann muss für alle überschaubar sein: Was und warum verändern wir und was bedeutet diese Veränderung für jedes Familienmitglied?«
»Mein Sohn Maxi ist drei. Ist das zu früh?«
»Ja, diese Themen kommen meist erst ab dem Schulalter. Wenn die Kinder kleiner sind, dann entscheiden sie, wie viel sie wovon essen oder manchmal auch nur probieren wollen. Die Eltern müssen entscheiden, was auf den Tisch kommt, aber dabei natürlich auch Vorlieben und Wünsche berücksichtigen. Da geht es gar nicht so um Fleisch, es geht auch darum, wie oft es Gemüse, Pizza oder Pommes gibt.«
»Das sage ich meinem Sohn auch. Der will immer Tellatoast.«
»Tellatoast?«
»Toast mit Nutella. Wir haben miteinander abgemacht, dass es Tellatoast nur am Wochenende gibt.«
Gola nickt. »Kinder sind großartig und immer bereit, eine Lösung im Einklang mit den Erwachsenen zu finden«, sagt sie. »Das ist eine große Verantwortung. Um ihr gerecht zu werden, muss man seine Kinder genau beobachten und sich dafür auch wirklich die Zeit nehmen.«
Ich schlucke. Wir haben anderthalb Stunden länger geredet als vereinbart. Es wird höchste Zeit, dass ich meinen Kindern Wärme, Nähe und Liebe spende. Also zu Hause den Herd anschalte.
6
Der Schriftsteller: »Soll ich kein Fleisch mehr essen, Jonathan Safran Foer?«
Ich habe das Buch Tiere essen von Jonathan Safran Foer nicht durchgehalten. Ich habe geweint. Das hat mich in gewisser Weise überrascht, denn es war schließlich nicht so, dass ich zum ersten Mal etwas von Massentierhaltung und industrieller Fleischproduktion erfahren hätte, von ihrer ethischen Problematik und ihren Auswirkungen auf die Umwelt und den Klimawandel. Ich glaube, das ist heute fast jedem Menschen halbwegs bewusst. Aber Foers Beschreibung von Hühnerfarmen und wie man dort Tiere systematisch quält, war so eindringlich, dass es mich wirklich durchrüttelte. Foer öffnet einem nicht die Augen. Er hält einem die offenen Augen so auf, dass man sie nicht mehr schließen kann. Es gibt einen Begriff in der Medizin: Ektropieren. Dabei zieht man den Patienten mit einem Stäbchen oder Lidhalter die Lider hoch und runter, um sie untersuchen zu können. Man kann das Auge dann nicht schließen, selbst wenn man möchte. So empfinde ich das, was Foer tut: Man kann die Augen nicht mehr zumachen, man kann es nicht mehr verdrängen. Ich habe danach wochenlang kein Ei mehr angerührt.
Ich wollte unbedingt mit Jonathan Safran Foer sprechen.
Jonathan Safran Foer studierte in Princeton und wurde 2002 mit seinem Erstlingsroman Alles ist erleuchtet bekannt. In dem Roman ist der Protagonist in der Ukraine unterwegs auf den Spuren seiner jüdischen Großeltern, die den Deutschen und dem Holocaust knapp entkamen. Vom Erstling und dem Nachfolgeroman Extrem
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