Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
laut und unglaublich nah wurden weltweit mehr als 1,3 Millionen Exemplare verkauft.
Foer ist verheiratet mit der Schriftstellerin Nicole Krauss – deren jüdische Großeltern ebenfalls vor den Nazis in die USA flohen. Die beiden gehören zu den wichtigsten Autoren der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur, leben in New York und haben zwei Kinder.
Foer ist Jahrgang 1977. Die Geburt des ersten Kindes veranlasste ihn, neu über sein Leben nachzudenken, über die Art und Weise, wie wir leben und wie wir uns ernähren. Viele Leute fan gen mit dem ersten Kind an, darüber nachzudenken, was sie essen. So kam es, dass er ein Buch, vielmehr eine wissenschaftliche Arbeit über die Grausamkeit der Massentierhaltung, die industrielle Fleischproduktion und ihre Auswirkungen auf Umwelt und Klima schrieb. Mehr noch: Nach der Geburt seines Sohnes entschloss er sich, Vegetarier zu werden. Weil er der Überzeugung ist, dass Eltern Geschichten für ihre Kinder sind und ihnen nicht nur durch Erziehung und Worte, sondern durch ihr eigenes Leben und Handeln erzählen, wer sie sind und wer sie sein wollen.
Foer sagt, er wolle seinen Kindern eine Geschichte ohne Fleisch erzählen. In Tiere essen versucht er zu verstehen und zu beschreiben, was Fleischessen über die Ernährung hinaus für Menschen und ihre kulturellen und familiären Zusammenhänge bedeutet. Er beschreibt und hinterfragt die gesellschaftlichen Blockaden, die verhindern, dass wir einfach weniger Fleisch essen. Darum nämlich geht es ihm: um weniger Fleisch. Zwar ist Tiere essen für ihn vor allem auch eine moralische Frage, aber er verlangt das Vegetariertum nicht von anderen. Ich las einen schönen Satz von ihm. Da sagte er: »Ich lebe nicht vegetarisch, ich esse einfach nur so wenig Fleisch wie möglich. Und das ist eben nichts.«
Dem Buch ist es gelungen, eine große, längst notwendige Debatte über die Frage auszulösen, wie wir essen. Weil die Zeit reif war? Weil Foer eben kein Wissenschaftler, sondern Schriftsteller ist? Weil er das Thema mit seinem Leben verknüpft hat? Vermutlich von allem ein bisschen.
Wir treffen uns im Restaurant eines Berliner Hotels. Er war früh aus London angereist und hat nun noch am Abend eine Lesung vor sich. Er trägt einen Anzug, aber keine Krawatte. Mein erster Eindruck ist, dass er sehr zerbrechlich aussieht. Das hat aber sicher mit dem frühen Flug zu tun oder damit, dass ihm auch noch der New-York-Flug vom Vortag in den Knochen steckt. Essen will er nichts. Wir bestellen beide grünen Tee.
Ich frage ihn: »Soll ich kein Fleisch mehr essen, Jonathan?«
Durch die Lektüre seines Buches weiß ich, dass er darauf sehr wahrscheinlich nicht mit »Ja, Sie sollen kein Fleisch mehr essen« antworten wird. Und auch nicht mit »Nein«. Aber ich will ihn zu einer klaren Position bewegen.
Foer blickt ernst. Er wirkt überhaupt sehr ernst und besonnen. Das passt auch ein bisschen zu dem Bild eines Schriftstellers, genauso wie der grüne Tee.
Irgendwann sagt er: »Das kann ich nicht wirklich beantworten.«
Er lebe in New York und damit in einer Stadt, die ihm alle Möglichkeiten biete, was Essen angehe. Seine Grenze sei nur die eigene Vorstellungskraft. Und er könne sich das Auswählen finanziell leisten. Viele Leute dagegen hätten diese Wahl nicht: Sie lebten an Orten, wo es die Auswahl nicht gäbe, oder sie könnten sich nicht leisten, was sie gern kaufen würden.
Okay. Das war noch nicht wirklich eine klare Antwort.
»Aber davon abgesehen«, sagt Foer, »gibt es etwas, worüber sich alle einig sein könnten, und darüber hinaus gibt es zusätzlichen Raum, um eine persönliche Entscheidung zu treffen.«
Ich frage: »Worüber sind wir uns einig?«
»Wir werden uns schnell mit sehr vielen Menschen einig, dass wir Tieren bestimmte Dinge nicht antun wollen. Etwa, dass wir sie das Schlachten und Töten spüren lassen. Oder dass wir sie in Minikäfigen halten, wo sie sich nicht oder kaum bewegen können. Aber dann kommt man irgendwann an einen Punkt, wo keine Einigkeit mehr da ist, sondern es viele unterschiedliche Ansichten gibt. Diese Ansichten haben damit zu tun, wie wir aufgewachsen sind.«
Seine Großmutter pflegte ihm und seinen Brüdern Hühnchen mit Karotten zu kochen. Davon ist er geprägt. In Tiere essen schreibt er, es sei das »köstlichste Essen« gewesen, das sie je gegessen hätten. Das hänge aber nicht damit zusammen, wie es schmeckte und wie die Großmutter es zubereitete. »Es war köst lich, weil wir glaubten, dass
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