Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
es köstlich war.« Großmutters Hühnchen mit Karotten gehörte zur Geschichte und zur gelebten Kultur der Familie. Es war Teil von dem, was sie waren oder was sie dachten, dass sie seien. So wie im Hause Paul die Königsberger Klopse meiner Großmutter.
Was Foer damit sagen will: Ist dein Vater Bauer, hast du eine bestimmte Perspektive, ist dein Vater Jäger, hast du eine bestimmte Perspektive, ist deine Mutter Wissenschaftlerin, hast du eine bestimmte Perspektive.
Ihm geht es aber nicht um die Unterschiedlichkeit dieser Perspektiven, sondern darum, die Punkte herauszuarbeiten, über die wir uns einig sind.
»Also: Nein, ich sage nicht, dass Sie aufhören sollten, Fleisch zu essen, Christiane. Ich bin der Meinung: Jeder sollte viel weniger Fleisch essen.«
»Werden wir uns darüber einig?«
Er glaubt, dass sehr viele Menschen sich darauf einigen können.
»Es ist fast seltsam, das ›eine Meinung‹ zu nennen, wenn man sich die Fakten anschaut. Farmer sagen das, Chefköche sagen das, Tierwissenschaftler sagen das.«
Wenn es keine Meinung ist, was ist es dann?
»Es ist, als ob man sagt: Soll ich meinen Müll in die Mülltonne tun oder auf die Straße werfen? Es ist so offensichtlich! Wenn es eine so breite Übereinkunft gibt, dann wird Meinung zu gesundem Menschenverstand. Und genauso sehe ich das mit Fleisch. Das meiste ist gesunder Menschenverstand.«
Zum Beispiel?
»Wir sollten den Tieren keine Antibiotika mehr geben. Weil wir dann selbst keine Antibiotika mehr nehmen können. Die brauchen wir aber, sonst sterben Unmengen von Menschen, die man sonst leicht heilen könnte.«
Ist es ein Gebot des 21. Jahrhunderts, weniger Fleisch zu essen?
»Nein. Das hieße, dass es von oben auf die Erde geschickt wird. Es kommt aber von unten, es kommt aus uns Menschen. Dazu brauchen wir niemanden, der uns das sagt. Es ist in uns. Wir müssen es nur aktivieren.«
Ich bin der Meinung, dass Menschen das Recht haben, Tiere zu töten, um sie zu essen. Und das sage ich ihm auch.
»Vielleicht haben wir das Recht. Für mich ist das eine theoretische und philosophische Frage für eine luxuriöse Welt, die wir nie erreichen werden.«
»Warum ist die Frage des Tötens von Tieren für Sie philosophisch?«
»Man verliert sich leicht im Hypothetischen. Neulich fragte mich einer: Wenn du auf einer einsamen Insel wärst, Jonathan, und da wären nur du und eine Kuh, würdest du sie essen?
Und ich sagte mir: Who cares? Wen interessiert das? Es gibt allerlei extreme Dinge, die ich möglicherweise in extremen Situationen tun würde. Aber das hat nichts damit zu tun, was ich in der Welt tun soll, in der ich tatsächlich lebe.«
»Was ist dann die richtige Frage in der tatsächlichen Welt?«
»Die wirkliche Frage ist: Haben wir das Recht, das zu tun, was wir gerade tun? Also Tiere so aufzuziehen und zu töten, wie wir es tun?«
Das ist für mich keine Frage: Nein, dieses Recht haben wir nicht.
»Dann ist die nächste Frage: Ist es für die Bevölkerung dieses Planeten möglich, Fleisch zu essen, ohne es industrialisiert herzustellen?«
Die Antwort ist klar.
»Man kann nicht sieben Milliarden Menschen mit Fleisch ernähren ohne industrielle Fleischproduktion. Der Witz ist, dass man sieben Milliarden ohne Fleisch sehr viel leichter ernähren kann.«
Nach seinen Recherchen muss man zwischen sechs und 26 Kalorien in ein Tier investieren, um eine Kalorie zurückzubekommen.
»Tierzucht ist extreme Vergeudung, auch was Wasser und Energie angeht. Warum sollten wir so viele Kalorien, Wasser und Energie wegwerfen, um Tiere zu füttern, wenn wir wirklich die Welt ernähren wollten? Es wäre viel einfacher, es anders zu machen.«
Der globale Fleischkonsum ist in den letzten hundert Jahren stark angestiegen, und das führt Foer hauptsächlich auf zwei Ur sachen zurück: die ökonomischen Interessen der Fleischindustrie und die Einübung als kulturelle Wohlstandsgewohnheit, zunehmend auch in Gesellschaften, die tendenziell fleischfrei geprägt waren. Was er vorschlägt, ist eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Problem und dann eine bewusste Entscheidung. Im besten Fall soll das Ergebnis sein: sofort anfangen, den Fleischverzehr zu reduzieren – als Individuum und, mehr noch, als Gesellschaft.
Seine Begründung: Bei einem durchschnittlichen Fleischkonsum von 113 Kilogramm in den USA und 83 Kilogramm in Deutschland pro Jahr helfen 100 000 neue Vegetarier nicht. Der Schritt mag zwar für den Einzelnen radikal sein, aber für die
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