Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
nächste Mahlzeit wieder Fleisch sein muss. Für mich geht das schrittweise. Man versucht es und scheitert, man versucht es wieder und scheitert etwas weniger. Vielleicht scheitert man jedes Mal, aber jedes Mal ein bisschen weniger.« Bei solchen Sätzen und Gedanken merkt man, dass jemand aus den USA kommt. Ich kenne keinen Deutschen, der das Scheitern so positiv bewertet.
Jonathan Safran Foers Kinder wachsen als Vegetarier auf. Zumindest bis jetzt.
»Manche Väter sagen im Moment der Geburt ihres Kindes: Du wirst Mitglied von Bayern München oder den New York Yankees. Sagten Sie damals: ›Und du wirst Vegetarier, mein Sohn!‹?«
»Nein, überhaupt nicht. Mein Ziel ist nicht, Vegetarier aus meinen Kindern zu machen. Ich will überhaupt nichts aus ihnen machen. Ich möchte dazu beitragen, dass sie Menschen werden, die die Wahlmöglichkeiten sehen, die sie haben, und dass sie so oft wie möglich die Entscheidungen treffen, die am meisten ihren Werten entsprechen.«
»Ihr Sohn hat das fleischfreie Leben akzeptiert?«
»Ja. Zum einen: Wenn du nie Fleisch gegessen hast, vermisst du es nicht. Zum anderen: Einem Kind zu erklären, warum man kein Fleisch isst, ist einfacher, als ihm zu erklären, warum man Fleisch isst.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wenn man an die ganzen anderen Geschichten denkt, die wir kleinen Kindern über unsere Freunde, die Tiere, erzählen – und dann essen wir sie?«
»Also: Man gibt ihnen einfach kein Fleisch, und das ist es dann?«
»Bei uns ist das keine große Sache«, sagt er. »It’s just like anything else.« Es ist wie alles andere.
Ich erzählte ihm, dass ich beim Lesen seines Buches geweint hatte, aber nach drei Wochen dann doch wieder ein Stück Fleisch aß.
»Manche Menschen sehen einen kleinen Film und sagen: Das war’s, ich esse kein Fleisch mehr. Und das war es dann tatsächlich für sie. Anderen fällt es schwerer, sich zu ändern. Ich selbst bin früher sehr oft Vegetarier geworden.«
Und diesmal bleibt es dabei?
»Ich glaube nicht, dass ich diesmal wieder anfange. Ich weiß zu viel über die Fleischindustrie. Und es fällt mir leichter. Es ist nicht so, dass ich nicht ab und zu an den Nachbartisch schauen und denken würde: Das sieht aber gut aus, der Teller sollte jetzt vor mir stehen und ich könnte das jetzt essen. Aber manchmal sitzt man auch in der Nähe eines Supermodels und denkt: Wow, die sieht wirklich super aus. Das heißt aber nicht … Wissen Sie, was ich meine?«
»Ja, ich weiß«, sage ich.
Das ist für seine zurückhaltende Art ein ungewöhnlicher Vergleich. Später las ich, dass er ihn öfter bringt. Vermutlich, weil er ihm so einleuchtend erscheint.
»Das Leben ist voller Dinge, die wir wollen. Das heißt nicht, dass wir sie alle haben müssen.«
Für mich ist eine entscheidende Frage, wie man das eigene Bewusstsein und die eigenen Bemühungen verknüpft, damit sie gesellschaftliche Dynamik bekommen. Ich teile Foers Erkenntnis, dass wir eine unproduktive Vorstellung von »radikalem Wandel« haben. Wir denken, ein Mensch müsste sich komplett verändern. Das hemmt uns aber, entmutigt und hindert uns daran, »uns miteinander zu verknüpfen«, wie Foer das nennt. Es geht nicht um radikalen individuellen Wandel, sondern um radikalen kulturellen Wandel.
Ich frage ihn: »Wie vernetzen Sie sich? Sind Sie Mitglied einer politischen Organisation oder Gruppe?«
»Nein. Es gibt Bewegungen, die ich gut finde, etwa ›Farm Forward‹, denen gebe ich Geld, die machen gute Arbeit.«
Farm Forward ist eine gemeinnützige Organisation, die sich für nachhaltige Landwirtschaft und verantwortungsbewussten Konsum und gegen Massentierquälerei einsetzt.
»Aber ich bin da nicht aktiv.«
»Fehlt das nicht, um wirklich was zu verändern?«
»Wir brauchen Verknüpfung, aber ich bin kein Politiker und am Ende des Tages auch kein Aktivist. Ich bin Schriftsteller und habe das beigesteuert, was ich kann und von dem ich dachte, da bin ich am hilfreichsten: ein Buch.«
»Ein Buch, das die Verknüpfung voranbringt?«
»Genau. Das ist auch das, was bei meinen Lesungen passiert.«
Was mich sehr interessiert, ist die Frage, wie er seine Arbeit als Schriftsteller und Künstler und gesellschaftliche Verantwortung zusammenbringt.
Hat ein Künstler diese Verantwortung?
»Nein, hat er nicht. Was nicht heißt, dass man nicht eine fühlen könnte. Aber man muss sie nicht fühlen. Künstler sind Künstler.«
Was heißt das?
»Sie sind ein Spiegel für die Gesellschaft. Aber
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