Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
Amerikaner waren die Ausnahme.
Strasbergs große Erfindung war das »Method Acting«, seine Methode, die Schauspielerei zu erlernen. Es geht darum, mit Erinnerungen an eigene Erlebnisse zu kommen und diese dann abrufen zu können, um sie für Szenen zu nutzen. Außerdem arbeitet er mit Entspannungstechniken. »Relaxation« bedeutet, erst mal die Spannung zu finden – und dann loszulassen. Der Körper ist ein Instrument. »Sense Memory« bedeutet, sich an Dinge zu erinnern, die gewisse Emotionen freisetzen sollen. Durch die Relaxation-Methode kommt man in merkwürdige Zustände. Sie brechen etwas in einem auf. Das ist bei mir auch passiert. Vieles, was man unterdrückt, kommt eben irgendwann ans Tageslicht.
Eine meiner Lehrerinnen hieß Hope Arthur. Sie sagte: »Versuche nie, die Emotion zu spielen. Don’t go for emotion. Die Emotion kommt von selbst. Deine Frage ist: What do you need from the other person? Was brauchst du von der anderen Person? Es ist nicht wichtig, ob du weinst oder nicht. Sondern: Was ist die Situation? Worum geht es da?«
Insofern war Strasberg für mich doch eine Art Offenbarung.
Ich glaube, ich habe dadurch doch etwas mehr von meinem Beruf verstanden.
Auch darüber, wie die Vorbereitung sein muss. Wir hatten einen Lehrer namens George Lorrace. Er war unglaublich streng und redete gern und oft von »Bobby«, also von Robert de Niro, und von »Michelle« Pfeiffer. Das war seine Liga.
Er sagte immer: »Du kannst dich nicht erst am Drehort vorbereiten. Die Vorbereitungsphase ist vier Wochen davor. Danach packe alles weg und spiel. Wenn du Talent hast, ist dann alles da, wenn du es brauchst. Du musst nicht mehr drüber nachdenken. Es wird da sein. Es wird bei dir sein.« Das war für mich magisch.
Und so mache ich es seitdem auch. Meine schwerste Zeit ist die Vorbereitung, sind die vier bis sechs Wochen vor dem Dreh. Da bin ich total im Stress. Dann lasse ich alles fallen und sage: Gut. Entweder, es wird kommen und wird mich begleiten. Oder nicht.
Da ich nur drei Monate an der Schule war, wollte George mich nicht in seiner Gruppe haben. Er unterrichtete nur Schüler, die mindestens sechs Monate auf der Schule waren, was er als Minimum für ernste Absichten einstufte. So strafte er mich mit Missachtung oder beschimpfte mich, wenn ich es dann doch geschafft hatte, auf seiner Bühne zu spielen.
»What the fuck are you doing?«, schrie er. Was machst du denn da? Er hatte vollkommen recht. Ich spielte so, wie es mir die Regieanweisungen aus dem Stück vorgaben. Er aber forderte mich auf, doch erst einmal zu überprüfen, ob das stimmte, ob die Situation stimmte, ob ich nicht andere Impulse von meinem Partner bekam und deswegen als Figur auch anders reagieren müsste. Anders, als es im Stück beschrieben war.
Es ging ihm darum, nicht primär auf das zu hören, was von außen vorgegeben ist, sondern herauszufinden, wie die Situation ist, was der Konflikt ist und wie man in der Figur reagieren würde. Man sollte offen in die Situation gehen und schauen, was passiert, ohne sich vorab auf eine Emotion festzulegen. Auch wenn es eine schmerzhafte Erfahrung war: Ich habe seine Auffassung vom Spielen tief verinnerlicht.
Schauspiel als darstellende Kunst sucht für meine Begriffe wie jede Kunstform nach dem Außergewöhnlichen. Es geht nicht darum, dem Publikum etwas zu zeigen, das es kennt. Es geht darum, etwas Überhöhtes zu zeigen, das eine Assoziationskette auslöst und eine Emotion. Kunst braucht etwas, das nicht konform geht mit der Gesellschaft. Ich glaube, dass Schauspielerei leider von vielen unterschätzt wird. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto komplexer wird es.
Michael Morgotta, ein anderer Lehrer, den sie später von der Schule geworfen haben, sagte immer zu uns: »Mach doch mal die Dinge anders, steig auf den Tisch und iss vom Stuhl, nimm die Gabel verkehrt herum.«
Zuerst denkt man: Oh Gott, so ist Strasberg. Typisch.
Aber es hatte was für sich. »Break the behaviour!« Versuch, die Dinge zu ändern, raus aus den vorgegebenen Bahnen, den erwarteten Handlungen. Das war für mich eine neue Welt, weg vom Ergebnisorientierten und hin zu einem anderen Tun. Wenn man auf dem Tisch steht, sieht die Welt übrigens wirklich anders aus. Manchem wird das schon immer klar gewesen sein. Ich habe es in New York gelernt.
Drei Monate sind eigentlich zu kurz, aber ich hatte schon wieder Hummeln, ich musste zurück nach Berlin, musste drehen, musste meine Doktorarbeit fertig machen.
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