Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
Aber jeder hat eine Einflusssphäre. Es geht darum, zu schauen, was die eigene Einflusssphäre ist, und dann darin zu arbeiten. Das ist meine philosophische Herangehensweise. Wenn also jemand sagt, es bringt nichts, ich allein kann nichts tun, dann sage ich ihm: Es gibt immer jemanden, der dir zuschaut.«
Wie sensibel ist Großbritannien, was den Klimawandel angeht?
»2005, als mein Buch rauskam, war das Jahr, in dem das zum großen Thema wurde. David Cameron wurde Chef der Konservativen, wollte sich unterscheiden und redete viel über Klimawandel. Dann kam Katrina, und etwas veränderte sich. Auch der Tsunami davor – auch wenn er nichts mit Klimawandel zu tun hat – brachte verändertes Bewusstsein. Er zeigte die Verwundbarkeit der westlichen Welt. Es war ein Fernsehereignis und brachte eine emotionale Reaktion, gerade auch in der westlichen Welt. Alles zusammen hat uns sensibler gemacht für unseren Planeten.«
London kommt in Klimawandelszenarien regelmäßig vor. »Sind die Londoner nicht alarmiert, dass ihre Stadt wegen eines steigenden Meeresspiegels und zunehmender Naturkatastrophen Probleme bekommt?«
Hickman sagt: »Eher nicht. Vor dreißig Jahren haben wir die Themse-Barriere in Betrieb genommen, die London vor Sturmfluten schützen soll. Vermutlich denken wir daher fälschlicher weise, dass wir geschützt sind. Ich vermute, dass wir die Dis kussion eher über die Hitze bekommen. London ist schrecklich bei Hitze, die U-Bahn ist dann die Hölle. Wenn wir eine solche Hitzewelle kriegen wie 2003, dann haben wir schnell die Was-tun?-Diskussion. Ich glaube leider: Es braucht wirklich eine Katrina-artige Situation. Aber nicht in Bangladesch, sondern bei uns.«
Wie sieht man in Großbritannien Deutschlands Klimabemühungen?
»Wir halten Schweden für das grünste Land in Europa, dann kommt Deutschland. Das sind nationale Stereotypen, aber wir verbinden mit den Deutschen immer einen wirtschaftlichen und technologischen Ansatz – und Gesetze und Verbote. Die Italiener halten wir für leidenschaftlich.«
»Wir Deutschen sind auch leidenschaftlich«, sage ich leidenschaftlich.
Er lächelt milde. »Wir sehen eher eine ›Das kriegen wir schon hin‹-Haltung bei den Deutschen. Du findest eine Lösung, und dann geht es weiter: Das ist für uns deutsch.«
»Wie schnell kann der kulturelle Wandel kommen hin zu einem Lebensstil, der Klimasensibilität beinhaltet?«
Hickman antwortet: »Sagen wir so: Es ist in England inner halb von zehn Jahren fast unmöglich geworden, betrunken Auto zu fahren. Vor 30 Jahren war es normal, besoffen aus dem Pub nach Hause zu fahren. Heute ist das sozial geächtet. Rauchen auch. Die Haltung hat sich komplett verändert.«
Was er sagen will: Es sind beides Dinge, bei denen früher die persönliche Freiheit im Vordergrund stand und heute mitgedacht wird, dass man andere Menschen damit gefährdet.
»Gibt es auch Fortschritt im echten Klimakulturbereich?«
»Vor ein paar Jahren hatte jede Mittelklassefamilie ein richtig großes Auto. Das war eine Übernahme aus der amerikanischen Kultur. Die Haltung hat sich innerhalb von zwei Jahren total ver ändert. Wenn du heute mit einem so großen Auto in der Schule ankommst, denken die Leute: Oh mein Gott! Spritfresser sind keine Statussymbole mehr.«
»Und wie sieht man Umweltaktivisten?«, frage ich.
Hickman grinst. »Wenn du Umweltaktivist bist, dann hast du keinen Spaß und bist total verkniffen. Das denken die Leute in England leider immer noch.«
Ich sage ihm, dass ich, um gegen dieses Vorurteil anzuarbeiten, massenhaft sein Buch verschenkt habe, weil ich seine Selbstironie angenehm und produktiv fand.
Er lächelt. »Das habe ich damals nicht bewusst gemacht. Ich bin so.«
»Ja«, sage ich, »es ist Ihre Persönlichkeit, die sich da ausdrückt. Ihr Buch hat mich inspiriert. Ich hatte das Gefühl: Ich kann etwas verändern in meinem Leben. Heute denke ich: Wir können zusammen etwas verändern. Deshalb wollte ich Sie unbedingt treffen.« Er lächelt. Scheint sich wirklich zu freuen. Er vermittelt mir den Eindruck, dass er wirklich daran interessiert ist, Gleichgesinnte zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen und zu vernetzen.
Auch Leo Hickman hat »gute und schlechte Tage«. An schlechten denkt er schon mal: Was soll ich ausrichten bei sieben Milliarden Menschen?
Das ist ein verbreitetes Gefühl, meine Schwester hat es, und ich habe es auch manchmal.
»Aber«, sagt Hickman, »dann mache ich mir wieder klar, dass es
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