Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
auf das Private und das Konsumistische beschränken.«
»Das ist Unsinn. Nichts zu tun ist ja noch viel privatistischer.«
Ich sage: »Die Projektion geht so, dass der gut verdienende Grünen-Wähler sich das Biobaumwollhemd kauft und sich damit über den erhebt, der es sich nicht leisten kann – also abgrenzender Prestigekonsum.«
Welzer: »Aber das hebelt das Ungerechtigkeitsargument doch sofort aus, weil der angebliche Luxusgrüne durch seine Kaufentscheidung – etwa cotton made in Africa – Ungleichheiten immerhin etwas abmildert. Elke Heidenreich hat mal gesagt: Man darf nie etwas zu Billiges kaufen, weil da immer irgendjemand betrogen wurde.«
Hätte ich nicht gedacht, dass Professoren Elke Heidenreich zitieren.
Welzer kommt zu seinem Punkt: »Das Argument mit dem Hartz-IV-Empfänger wird in Wahrheit nicht zu dessen Gunsten eingesetzt, sondern richtet sich gegen die Leute, die nun sagen, man müsse sein Leben verändern. Dann wird gesagt: Aber der Hartz-IV-Empfänger … Sonst kommt er nirgendwo vor.«
Ich sage: »Das ist ja das Schlimme.«
Welzer nickt. »Aber genau das entlarvt das Argument an dieser Stelle, an der es um Veränderung von Lebenswirklichkeit geht. Das Soziale ist vom Ökologischen nicht zu trennen. Wenn ich Lebensverhältnisse in eine ökologische Richtung verändere, profitieren die unten am meisten davon.«
Es gibt aber nun Menschen, die sich unter anderem darum sorgen, dass sie sich Flüge nicht mehr leisten können, wenn die Umweltkosten im Ticketpreis enthalten sind. Und dass die Bes serverdienenden jetzt groß daherreden und dann diejenigen sind, die weiterfliegen. Wäre das ungerecht?
»Wir müssen uns fragen: Was sind Menschenrechte? Vernünftig wohnen, vernünftige Bildung, ein vernünftiges Gesundheitssystem: Das sind Menschenrechte. Aber Fliegen ist kein Menschenrecht.«
»Aber früher flogen nur wenige, heute fliegen viele. Das hat für viele auch etwas mit Demokratie zu tun.«
»Wir haben es hier mit einer Selbstüberforderung zu tun. Wenn wir sagen, dass wir radikal umsteuern müssen, weil wir so nicht weitermachen können, dann haben wir nicht den Anspruch, die perfekte Welt zu bekommen und alle existierenden sozialen Ungleichheiten im selben Moment auch noch zu beheben. Was Ihr Beispiel angeht: Es werden in Zukunft ohnehin deutlich weniger Leute fliegen, weil die Energiepreise deutlich steigen werden. Das Niveau der Ungleichheit wird dadurch sogar absinken, weil es sich auch der Mittelstand nicht mehr in der Form leisten kann.«
Ich muss an meine Schwester Simone denken und ihren Satz, dass »der Chinese« ja jetzt erst mal Wohlstand nachholen müsse und ihr Engagement daher nichts bringe. Was hält Welzer von dieser Argumentation?
Er lächelt. »Der Chinese ist neben dem Hartz-IV-Empfänger die zweite Voodoo-Figur, die gern rausgeholt wird, wenn es um Veränderung geht. Der Chinese steht zum einen für plötzlich le gitime Modernisierungs- und Wohlstandsbedürfnisse der Zweit- und Drittweltländer, die man nicht abschlagen könne. Dabei basiert unser ganzer Reichtum darauf, dass wir bislang alle Weltgegenden ausgeplündert haben. Nun gilt plötzlich Nord-Süd-Gerechtigkeit als Argument für weiteres Wachstum. Zum anderen steht der Chinese dafür, dass er die Umwelt so sehr versaut, dass unsere armen kleinen Bemühungen eh vergebens sind, sodass wir sie gleich bleiben lassen können und ihm lieber möglichst viele unserer Autos verkaufen.«
»Und wofür steht der Chinese für Sie, Herr Welzer?«
»Für gar nichts: Der Chinese spielt für mich weder bei der Arbeit eine Rolle noch beim Kauf eines Konsumartikels oder bei der Frage, welchen Film ich abends anschaue. Wieso also soll er eine Rolle spielen, wenn ich mir überlege, wie das Leben besser aussehen könnte? Außerdem macht er so oder so, was er will.«
Aha. »Wieso soll ich dann nicht mehr fliegen oder kein Fleisch mehr essen?«
»Das ist die falsche Frage. Die richtige Frage wäre, ob die Chinesen nicht hier und da intelligentere Sachen machen als unsereiner.«
»Was ist mit der These, dass der Chinese so werden will, wie wir sind?«
»Das ist Unfug. Er will sein wie ein Chinese, nur wohlhabender. Alle Menschen haben ein nationales Selbstbild. Kein Mensch will werden wie wir.«
»Aber konsumieren wie wir?«
»Ja, die Konsummuster globalisieren sich. Aber das heißt nicht, dass alle so sein wollen wie wir.«
Welzers Erkenntnis ist: »Wenn wir ernsthaft über soziale Un gleichheit und ökologische
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