Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
Leo Hickman gesagt hat: »Es geht nicht darum, ob ich in 50 Jahren tot bin. Es geht um das Heute: Bin ich eine negative Kraft oder kann ich eine positive Kraft sein?«
Immer wieder sorgen sich Leute außerdem, dass umweltbewusst zu leben keinen Spaß macht und überhaupt ziemlich humorlos sei, etwas für Leute, die nicht genießen können. So ein Quatsch! Die Schauspielerin und Ökoaktivistin Darryl Hannah ( Kill Bill ) hat dazu einen sehr schönen Satz gesagt: »Wenn du das Leben nicht genießt, was bringt es dann, es retten zu wollen?«
Ich sehe das genauso.
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Der Sozialpsychologe: »Ist Öko nur für Reiche, Harald Welzer?«
Ist ein ökologisch verantwortungsvolleres Leben nur etwas für Menschen mit Geld? Muss man es sich leisten können? Kauft man sich ein gutes Gewissen mit einem klimafreundlichen Auto und im Bioladen und zeigt auch noch mit dem Finger auf die Mitmenschen, die sich das nicht leisten können? Das sind einige der Vorwürfe gegen Menschen, die angefangen haben, ihr Leben und ihren Konsum zu ökologisieren.
In meinem Freundeskreis hatte ich in den letzten Monaten regelmäßig darüber diskutiert. Einerseits habe ich die feste Über zeugung, dass es jetzt darum geht, dass diejenigen anfangen, die dazu in der Lage sind. Andererseits konnte ich die These nicht vollständig widerlegen, dass die ernsthafte Bekämpfung des Klimawandels soziale Ungerechtigkeit nicht verringern, sondern vergrößern würde.
Ich beschloss, mich mit dem Sozialpsychologen Harald Welzer darüber auszutauschen. Als Mitinitiator des Forschungsschwerpunkts KlimaKultur am Kulturwissenschaftlichen Insti tut in Essen avancierte er zu einem der ersten Intellektuellen, der sich nachhaltig mit dem Problem des Klimawandels beschäftigte und dabei über die klimawissenschaftliche und politische Betrachtung hinaus eine neue Dimension beschrieb. Seine Bücher Klimakriege und Das Ende der Welt, wie wir sie kannten – mit dem Essener Kollegen Claus Leggewie verfasst – haben mich sehr beeindruckt. Er beschreibt darin den Klimawandel nicht nur als ökologische, sondern vor allem als soziale Bedrohung. Gleichzeitig sieht Welzer einen ökologisch orientierten Veränderungsprozess aber auch als Hebel, um soziale und ökonomische Ungerechtigkeiten zu verringern und nicht zu vertiefen, und zwar nicht nur innerhalb nationaler Grenzen, sondern global und in die Zukunft gerichtet. Ich möchte seine Argumente prüfen und fahre an einem Montag mit dem ICE nach Essen. Welzer empfängt mich in einem nüchtern-funktionalen Zimmer im Kulturwissenschaftlichen Institut. Der Tisch und auch der Boden sind vollgestapelt mit Büchern und Papieren. Es sieht nach Arbeit aus, und Welzer ist offenbar prächtig gelaunt. Mal sehen, ob das so bleibt.
»Ist Öko nur etwas für Reiche, Herr Welzer?«
Er grinst: »Ich verstehe die Frage nicht.«
Ich versuche es anders: »Muss man sich die normative Ein stellung leisten können, ökologische Gerechtigkeit zu unterstützen?«
Jaja, er weiß selbstverständlich, was gemeint ist. Er hört die Frage ständig.
»Die Frage hat ja so etwas komisch Paternalistisches. Sie unterstellt, dass Menschen mit weniger Einkommen sich keine Gedanken machen können.«
Ich sage: »Wenn wir Ernst machen und die sozialen und die Umweltkosten eingerechnet werden, besteht die Sorge, dass die Hartz-IV-Empfänger vollends abgehängt werden. Und dass sich ein größerer Personenkreis Fliegen nicht mehr leisten kann, weil es dann keine Billigflüge mehr gibt. Und Biofleisch sowieso nicht.«
»Aber die Welt ist ja im Moment schon total ungerecht. Ich diskutiere öffentlich sehr viel, und bei fast allem, was uns unter den Nägeln brennt – Bildung, Staatsverschuldung, Rente, Europa und so weiter –, kommt der Hartz-IV-Empfänger nicht vor. Der wird immer dann aus dem Zylinder geholt, wenn es um Gegenargumente gegen notwendige Veränderungen geht.«
»Das Argument ist: Ihr seid ja nur in der Lage, etwas zu ändern, weil ihr das Geld habt. Und Fragen der sozialen Ungerechtigkeit werden kaum beachtet.«
Welzer lächelt. »Erstens: Warum soll es ausgeschlossen sein, dass auch Hartz IV-Empfänger ihr Leben verändern, wenn auch in materiell begrenzterem Umfang? Zweitens: Wieso soll das ein Argument dafür sein, dass die Bessergestellten alles so lassen, wie es ist? Drittens: Was hat die Höhe des Einkommens mit der Qualität von Argumenten zu tun?«
»Der nächste Vorwurf lautet, dass sich die Bemühungen der angeblichen Wohlfühl-Ökos
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