Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
müssen die Sache lustvoll und unter Einbeziehung unserer emotionalen Potenziale angehen.«
Er hat vor einigen Monaten seinen letzten Langstreckenflug gemacht.
Eine bewusste Entscheidung. Er war noch mal in New York, ging den Broadway runter, fand ihn ab Times Square und bis Union Square als Fußgängerzone vor und war begeistert, dass so etwas eben doch geht. Einfach so.
Der New-York-Flug war der Höhepunkt unseres Lebensstilmodells im 20. Jahrhundert. Zum Shoppen nach New York. Und wenn man sogar Freunde dort hatte, besser ging’s nicht! Oder doch: Welzer hatte zeitweise eine Lebenspartnerin in New York. »Superfernbeziehung«, sagt er. Dafür wurde er sicher beneidet.
»Und nun geben Sie den New-York-Flug auf«, sage ich. »Ist das nicht hart?«
»Im Gegenteil. Es ist entlastend. Man könnte sagen, dass ich oft genug da war, aber es gibt auch viele andere Teile der Welt, in denen ich nie war und in die ich jetzt nie mehr kommen werde.«
»Was hat Sie zu der Entscheidung veranlasst?«
»Ich finde, es geht nicht mehr, grundsätzlich. Gründe für Ausnahmen finden wir ja immer, also muss man einen grundsätzlichen Schnitt machen.«
»Was heißt das?«
»Ich könnte natürlich sagen, ich muss ausnahmsweise zu wich tigen Kollegen im Bereich Klimaforschung in die USA oder nach Argentinien fliegen. Diese Partikularargumentationen funktionieren immer. Aber jetzt habe ich den Eindruck, dass man auch mal sagen muss: Nein, das Große und Ganze funktioniert eben nicht so. Ich kann es vor mir selber nicht vertreten, das Falsche immer weiterzutun, also lasse ich es sein.«
Grundsätzlich beschwört Welzer ja immer die Vorteile des neuen Denkens und Handelns. Aber was ist hier der Vorteil?
»Der Vorteil ist: Ich habe keinen Begründungszwang mehr, dass ich irgendwo nicht hinkomme.«
»Sie sagen einfach: Ich fliege nicht?«
»Ja. Fall erledigt. Das macht mir das Leben viel leichter. Ich habe einen echten Gewinn an Lebensqualität.«
»Ist das Außenseitertum, wenn man nicht mehr fliegt, oder wird das schnell ›normal‹ in einer neuen Erzählung unserer Gesellschaft?«
»Bisher war es so, dass man Status gewann, wenn man zu Konferenzen fliegen durfte. Man kann sich vorstellen, dass man Status gewinnen kann in einer Teilkultur, in der Menschen Sachen anders machen. So haben alle sozialen Bewegungen funktioniert: Sich einschreiben können in etwas und sich dafür auch etwas für sich abholen. In unserem Fall ist das eine andere Form des Lebens, Konsumierens und Sichbewegens, die Attraktivität bereitstellt, sodass man dazugehören will.«
»Kann man ›Weniger‹ glaubhaft begehrenswert machen?«
»Den Lebenszustand Hartz IV sexy zu machen, das geht nicht. Aber ein Leben mit relativ hohen Ansprüchen, das aus freien Stücken auf das Weniger setzt, das kann man sexy machen.«
Eine zentrale These von Welzer und Claus Leggewie ist das Entstehen einer »APO 2.0«, einer großen Bürgerbewegung zur Meisterung der Krisen des 21. Jahrhunderts.
Wie und wodurch formt sich diese Bewegung?
»Ich glaube, dass die Bewegung von unten kommt. Aber es braucht auch eine Elite, um sie zu befördern. Diese Bewegung muss sich durch alle Schichten organisieren. Wir haben jetzt ein Flämmchen von Protestbewegung, aber noch zu wenig Diskussion in den relevanten Kommunikationssegmenten der Gesellschaft.«
»Elitenversagen?«
»Ja, es gibt zum Beispiel extrem wenige Professoren, die sich als politisch verstehen und Farbe bekennen. Oder Unternehmer. Auch das ist übrigens ein Argument gegen den Hartz-IV-Vorwurf.«
»Erst mal soll die Elite sich formieren?«
»Die Bestverdienenden und diejenigen, die die größten Handlungschancen haben, müssen auf die Bildfläche. Man braucht Eliten aus dem Kulturbereich, man braucht Intellektuelle und auch die Eliten aus der Administration, die das Wissen darüber haben, wie man das umsetzt. Und davon sehen wir in diesem Land fast überhaupt nichts. Das ist das vorrangige Problem.«
Aus dieser Perspektive ist es also andersherum: Reiche müssen öko werden.
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Lösungen:Anfangen!
In den letzten Jahren habe ich versucht, mein Leben nach ökologischen Gesichtspunkten zu verändern, Dinge anders zu machen, innere Blockaden aufzubrechen und neue Denkansätze zu finden. Und ich habe mit Menschen gesprochen, die für mich das neue Denken verkörpern und ihr Leben danach ausrichten, Dinge anders machen.
Ich bin eine Schauspielerin mit zwei Kindern. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dieses Buch
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