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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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Die Augen des jungen Mannes in der ersten Reihe leuchteten. Alexander blickte in seine Notizen. Normalerweise machte er Pausen für den Applaus; heute würde sein Vortrag kürzer dauern als sonst, kürzer als angekündigt.
    »Er ist die humorloseste Führungspersönlichkeit seit langer Zeit«, fuhr Alexander fort. »Bestimmt erinnern Sie sich, dass Kukly , unsere beliebte Puppen-Satiresendung im Fernsehen, sogar Breschnew aufspießen durfte. Aber sobald es eine Putin-Puppe gab, wurde sie abgesetzt. Wenn unser Recht auf Satire dermaßen beschnitten wird, wie können wir da so tun, als hätten wir seit dem Kommunismus echte Fortschritte gemacht?«
    In der hintersten Reihe spuckte eine Frau ihr Kaugummi aus, wickelte es in ein Taschentuch und steckte es in ihre Handtasche.
    »Aber wenn Putin ein Tyrann ist, sind wir vielleicht mitschuldig an seiner Tyrannei. Fünfundachtzig Prozent der Bevölkerung haben in Umfragen gesagt, sie würden sofort emigrieren, wenn sie ein anständiges Gehalt bekämen. Diese alarmierende Statistik trägt sicherlich zu dem Gefühl der Apathie bei, mit dem die jungen Leute sich eine Erniedrigung nach der anderen gefallen lassen.«
    Die Zuschauer sahen zu Boden; sie wandten den Kopf ab. Der junge Mann grinste frenetisch, wild entschlossen.
    »Und so«, schloss Alexander, »sind wir zu einem Volk verkommen, das sich damit zufriedengibt, in der warmen Küche auf dem Allerwertesten zu sitzen. Wir werden so lange dort sitzenbleiben, bis sie uns die Küchen auch noch nehmen. Ich danke Ihnen.«
    Das Publikum applaudierte in abgehackten Stakkato-Schüben. In den hinteren Reihen musste jemand niesen.
    Danach wartete ein klägliches Grüppchen Studenten darauf, dass Alexander ihre Bücher oder Schachbretter signierte. Eine langhaarige Frau wollte ein Autogramm »für ihre Freundin«; ein gedrungenerjunger Mann wollte eins »für seinen Dozenten«. Schließlich tauchte der junge Mann aus der ersten Reihe auf, der nervös sein Schachbrett an sich presste.
    »Guten Tag«, sagte er ernst.
    »Ich bin froh, Sie zu sehen, junger Mann«, sagte Alexander. »Ich glaube, Sie waren der Einzige, der heute wach geblieben ist.«
    Der junge Mann lächelte. »Herr Besetow«, sagte er, »Sie sind für mich der größte Schachspieler aller Zeiten. Würden Sie mir die Ehre erweisen, mein Brett zu signieren?«
    »Natürlich.«
    Alexander lächelte, griff nach seinem Stift und spürte, wie ihm ein stumpfer Gegenstand seitlich gegen den Kopf knallte. Ein roter Schleier überzog seinen Blick; ein Augenblick der Taubheit folgte und dann ein überraschend scharfer Schmerz. Alexander griff sich an den Kopf und wandte sich gerade rechtzeitig nach dem jungen Mann um, um zu sehen, wie er mit dem unsignierten Schachbrett in der Hand zu einem zweiten Schlag ausholte.
    »Als Schachspieler habe ich Sie so bewundert«, stieß er wütend hervor. »Und jetzt sind Sie bloß noch ein dreckiger Politiker!«
    Eine Frau schrie, und Vlad stürzte sich auf den jungen Mann und überwältigte ihn. Der junge Mann bebte vor Zorn, umklammerte sein Schachbrett mit einer zitternden Hand und zeigte mit dem anderen knochigen Zeigefinger auf Alexander.
    »Sie haben Russland verraten, und Sie haben das Schachspiel verraten!«, rief er, und Alexander sollte nie vergessen, dass es die zweite Beleidigung war, die zählte, ein bisschen zumindest.
    »Ruhe jetzt!«, bellte Vlad.
    »Verräter!«, schrie der Mann. Speichelfäden hingen zwischen seinen Lippen; seine Augen – die eben noch vielversprechend idealistisch gewirkt hatten, voller Sehnsucht nach Demokratie, Pressefreiheit und Transparenz – strahlten jetzt eine milde Form von Wahnsinn aus.
    »Mund halten«, sagte Vlad und rammte ihm einen Ellbogen in den Bauch.
    »Schon gut«, sagte Alexander. »Lass ihn schreien.« Das war schließlich der Sinn der ganzen Veranstaltung.
    Also schrie der Mann weiter seine heiseren Anschuldigungen heraus, während Vlad ihn aus dem Saal bugsierte. Und als er draußen war und die Tür sich hinter ihm schloss, holten alle Studenten ihre Telefone hervor und begannen zu tippen.
    Am selben Abend hielt Nina ihm einen kalten Umschlag an den Kopf und servierte ihm eine Portion Eis, obwohl sie es sonst nicht leiden konnte, wenn er Süßes aß.
    »Mein Pilz«, sagte sie. »Du bist so tapfer.«
    Und er hatte beinahe das Gefühl, dafür hätte es sich gelohnt – für das Mitgefühl in Ninas Stimme und die Berührung ihrer kühlen Hände an seinem Hals.
    »Hört mal«, sagte Alexander

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