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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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war ziemlich überrascht, hier zu sein.
    »Ich habe es mir von Anfang an gedacht. Die Amerikaner haben alle Fäden in der Hand. Er hat keine einzige eigene Idee im Kopf.«
    »Wovon reden Sie überhaupt?«
    Er wedelte entnervt mit der Hand. »Verstehe, verstehe. Sie brauchen natürlich Diskretion. Na klar.«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden.«
    »O nein. Nein. Ich auch nicht.« Er sah mich wissend an und lächelte beinahe freundlich. »Also sind Sie … ein Fan von ihm? Ist das die offizielle Version?«
    »So ungefähr.«
    »Natürlich«, sagte er. »Natürlich. Wir sind alle große Fans von Besetow. Und was genau möchten Sie mit ihm besprechen?«
    Ich erklärte es ihm oder versuchte es zumindest. Allmählich wurde ich ein bisschen besser darin. Er hörte zu. Sein Gesicht wurde, falls das überhaupt möglich war, noch gelblicher und fahler. »Im Ernst?«, fragte er schließlich.
    »Ja.«
    »Wirklich?«
    Ich starrte ihn an. Er kniff die Augen zusammen. »Das klingt eher, als bräuchten Sie einen Therapeuten.«
    Ich zuckte zurück. »Nein.«
    »Oder einen Priester.«
    »Noch schlimmer.«
    »Dann hat er symbolischen Wert für Sie.«
    »Auch, äh, auch tatsächlichen Wert.«
    »Glauben Sie, er könnte Ihnen irgendetwas erzählen, was Sie nicht schon wüssten?«
    »Jeder könnte mir irgendetwas erzählen, was ich nicht weiß.«
    »Auch das, was Sie hören wollen?«
    Ich war erschöpft. Ein dumpf glimmender Schmerz nistete hinter meinen Augen. »Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Vielleicht nicht.« Zur Untermalung hüstelte ich schwach in meine Schulter.
    Michail Andrejewitsch kaute wieder an seiner Lippe, die sehrmitgenommen aussah. Es stand ihm gar nicht gut. »Was wissen Sie von ihm?«
    »Er ist … na ja, er ist Schachgroßmeister.«
    »Ja. Sehr gut.«
    »Und er ist Präsidentschaftskandidat.« Ich kam mir vor wie ein Kind.
    »Sie wissen aber, dass seine Kampagne ein reiner PR-Gag ist, ja? Sie wissen, dass er weiß, dass er nicht gewinnen kann.«
    Der Mann war frustriert, das war offensichtlich – also war die merkwürdige, scharfkantige Abwehrhaltung, die ich einzunehmen begann, vollkommen ungerechtfertigt. Besetow war moralisch unangreifbar. Ich bemühte mich, leichthin und unvoreingenommen zu klingen, als ginge es um politische oder philosophische Sachfragen, nicht um brutale persönliche Angriffe. Wie ich es einmal geliebt hatte, solche Diskussionen zu führen!
    »Klar weiß er, dass er nicht gewinnen wird«, sagte ich, »aber das ist ja gerade das Eindrucksvolle, Mutige daran. Genau darum geht es.«
    »Ach ja? Da wäre ich mir nicht so sicher.«
    »Worum geht es denn sonst?«
    »Es geht nicht darum, ob man eine schnelle oder langsame Revolution anstrebt, sondern ob sie wirken oder verpuffen soll. Besetow zieht die ganze Aufmerksamkeit, das Geld und die Unterstützung von pragmatischeren Leuten ab – Leuten, die eine ernsthafte Chance hätten, gewählt zu werden, und die das Land von innen heraus reformieren könnten. Besetow steht wegen seiner Scheiß-Schachkarriere immer im Mittelpunkt, und alle sagen, oh, wie aufregend! Wie beeindruckend! Geniale Schachzüge im nationalen Maßstab, das ist nun mal eine tolle Geschichte. Ich werde nie begreifen, wie die Öffentlichkeit auf diesen Mann reagiert. Es ist unglaublich. Egal, was er tut, die gesamte westliche Welt kriegt einen Ständer. Aber was ist für Russland am besten? Wenn es bloß wegen der Eitelkeit eines alternden Brettspielers wieder seine Chancen verpasst? Oder wenn es ernsthafte Männer wählt, die mitZähnen und Klauen und Kompromissen den Weg in ein humaneres Leben frei machen? Was ist mutiger?«
    Meine Abwehrhaltung wich einem viel kleineren, traurigeren Gefühl. Alexander Besetow war jemand, der meinem Vater etwas bedeutet hatte. Ich wollte nicht, dass jemand ihn verunglimpfte. Meine Mission war bestenfalls absurd, so viel wusste ich schon. Selbst wenn Alexander Besetow ein Held war, ein Heiliger, war mein Vorhaben mehr als fragwürdig. Ich wollte es wirklich nicht wissen, wenn Alexanders Kollegen Beschwerden über ihn hatten oder unzufrieden mit ihm waren. Seine Aufgabe war nur, mir seine Lebensweisheiten zu übermitteln. Wenn er das nicht konnte, hatte ich keinen Grund mehr, hier zu sein. Und ich hatte keinen Grund, anderswo zu sein. Ich schwieg und sah mir Michail Andrejewitschs Plakate an.
    »Aber, ich meine … Ich sehe hier Ihre Plakate und habe, wenn Sie erlauben, Ihren Wikipedia-Eintrag gelesen, und

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