Das Leben kleben
Innenarchitekten beauftragen, sich Gedanken zu machen. Zum Beispiel könnte man den Dachboden ausbauen zu einem fantastischen Penthouse.« Tief in seinen Augen flackerte eine Flamme auf. »Das Haus scheint jeden zu bezaubern.«
»Es ist das Potenzial. Man sieht sein Potenzial. Zuallererst sollte der Baum gefällt werden.« »Er steht unter Naturschutz.«
»Spielt keine Rolle. Man zahlt einfach die Strafe. Der Baum wird gefällt, die Kommune bekommt ihr Geld, alle sind zufrieden.«
Eigentlich hatte ich den Baum selbst nicht gemocht, doch plötzlich war er wie ein alter Freund für mich.
»Das können Sie nicht machen!«
»Wann will Ihre Tante das Haus verkaufen?«
»Sie wollte nur mal wissen, was es wert ist, für den Fall, dass sie verkaufen will. Was meinen Sie?«
Er blickte auf die Notizen, die er sich auf der Quittung gemacht hatte, kniff die Augen zusammen und legte seine schöne Stirn in Falten, so dass er vage an Aristoteles erinnerte. Naja, nur vage.
»Eine halbe Million Pfund vielleicht?«
Ich weiß nicht genau, was ich erwartet hatte, aber unsere Doppelhaushälfte mit den drei winzigen Schlafzimmern und dem handtuchgroßen Garten hatte auch beinahe so viel gekostet. Er sah meinen Blick.
»Die Gegend drückt den Preis. Außerdem wäre das ein Barkauf, keine Hypothekenfinanzierung. Ich gebe Ihnen alles schriftlich.«
Ich nannte ihm meine Adresse. Wir schüttelten einander die Hand. Er stieg in seinen hungrig aussehenden Wagen und war mit zwei Stößen heißer Luft aus seinem mächtigen Doppelauspuff verschwunden.
Ich schlenderte langsam zurück, noch leicht benommen von der Begegnung. Als ich unsere Straße hinaufging, sah ich, dass Ben schon zu Hause war; das blaue Rechteck seines Bildschirms zwinkerte mir durchs Fenster zu, während Ben über die einsamen Cybermeere segelte, in denen es von wer weiß welchen Piraten und Haien wimmelte. Mein Mutterherz zog sich mit einem Anflug von Traurigkeit zusammen: Es war nicht gut für ihn, seine Abende allein dort oben zu verbringen.
»Hey, Ben, sollen wir ins Kino gehen? Wir könnten uns Daniel Craig als James Bond ansehen.«
Sean Connery, Roger Moore, Pierce Brosnan. Während um Bens willen mein Mutterherz litt, bitzelten meine Hormone immer noch wegen Mark Diabello. »Klingt nach ziemlichem Schwachsinn.«
»Ist wahrscheinlich auch Schwachsinn, aber vielleicht ganz unterhaltsam.«
»Ich finde Schwachsinn nicht unterhaltsam, Mum? Aber wenn du Lust hast, können wir ruhig gehen?« Ich registrierte eine Veränderung in seiner Stimme: eine ungewohnte Hebung am Ende der Sätze - fragend oder unsicher. Ich fragte mich, ob er auch so war, wenn er bei Rip war. Irgendwie stellte ich mir das Leben in Islington wie einen endlosen Reigen stimulierender Aktivitäten und intellektueller Gespräche vor, und dass er nur bei mir stundenlang in seinem Zimmer vor dem Computer saß. Wenn wir uns besser verstanden hätten, hätte ich Rip angerufen und ihn gefragt, aber wir verstanden uns nicht, und deshalb ließ ich es sein.
Statt auszugehen, bestellten wir Essen bei Song Bee und aßen vor dem Fernseher beim Feuer im Gaskamin. Es lief irgendein Krimi, ich erinnere mich nicht, welcher. Ich dachte gerade, dass die männliche Hauptfigur ein bisschen wie Mr. Diabello aussah, als Ben mich plötzlich fragte:
»Mum, glaubst du an Jesus?«
Seine Frage traf mich völlig unerwartet. Ich holte Luft.
»Ich weiß nicht. Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich glaube, Ben.« Worum ging es hier eigentlich, fragte ich mich. »Ich glaube, Jesus gab es wirklich, wenn du das meinst.«
»Nein, ich meine, glaubst du, dass Jesus beim Weltuntergang deine Seele rettet?« »Ben, Liebling, die Welt wird nicht untergehen.«
Mich durchzuckte eine Erinnerung daran, wie ich in seinem Alter gewesen war ich hatte geglaubt, dass der Atomkrieg die Menschheit auslöschen würde, bevor ich auch nur eine Chance gehabt hätte, meine Jungfräulichkeit zu verlieren. Wir saßen samstags im Cafe Kardomah in Leeds, meine Freundinnen und ich, und stellten uns vor, was wir in den letzten vier Minuten nach der letzten Warnung tun würden.
»Es ist ... Ich hab dich wirklich lieb, Mum. Dich und Dad. Ich will nicht ...« Er murmelte, als hätte er den Mund voll Sand. »Du musst einfach nur Jesus in dein Leben lassen?« Als er mich ansah, waren seine Augen groß, mit geweiteten Pupillen, als würde er tief in seinen persönlichen Alptraum blicken.
»Die Zeichen sind da, Mum? Alle Zeichen sind da?« Die seltsam
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