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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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ich Mrs. Goodneys Karte, rief die Nummer an, die darauf stand, und fragte nach Damian Hendrix. Eine lange Pause entstand.
    »Hier ist der Sozialdienst im Krankenhaus«, erklärte mir eine Frauenstimme. »Vielleicht wollten Sie mit dem städtischen Sozialamt sprechen?«
    Ich schlug die Nummer des Sozialamts im Telefonbuch nach und versuchte es wieder.
    »Könnte ich mit Mr. Damian Hendrix sprechen?«
    »Es tut mir leid, hier arbeitet niemand, der so heißt. Worum geht es denn?« »Es geht um eine ältere Dame, die ins Heim soll.«
    »Einen Moment, ich stelle Sie zur Abteilung für Seniorenbelange durch.« Es knisterte in der Leitung.
    »Senio-oren!«, sang eine gut gelaunte Stimme in mein Ohr. »Ich suche nach Mr. Damian Hendrix.«
    »Mm-mm. Wir haben keine Hendrixe hier. Sind Sie sicher, dass Sie den richtigen Namen haben?«
    »Bei Damian bin ich mir sicher. Haben Sie einen Damian?«
    »Mm-mm ...« Die Stimme rief jemand anderem zu: »Eileen, haben wir 'nen Damian?«
    »Nur den im Lager«, antwortete Eileen mit einem unverwechselbaren Tonfall aus dem Norden.
    »Nur einen, der im Betriebsmittelmanagement arbeitet«, sagte die fröhliche Stimme.
    »Nein, das muss jemand anders sein. Danke.« Ich legte auf.
     
    Eileen - diese Stimme - sie musste aus Yorkshire sein. Plötzlich hatte ich eine Heimwehattacke, wie damals, als wir wegen Rips Zukunftsprojekt gerade von Leeds nach London gezogen waren. Wochenlang hatten wir uns wie verlorene Seelen im Fegefeuer der Immobilienmaklerbüros herumgetrieben auf der Suche nach einem Plätzchen, das sich eines Tages wie zu Hause anfühlen würde. Wir waren schockiert von den Londoner Preisen und davon, wie winzig die Häuser waren - zumindest die, die wir uns leisten konnten. Die niedrige Reihenhaushälfte der Jahrhundertwende, die wir schließlich kauften, hatte noch netter als die meisten anderen gewirkt. Doch sie war für einen schnellen Verkauf hergerichtet, in neutralen Farben gestrichen, um die »wunderbaren historischen Details« zu unterstreichen, mit Laminatböden (Original-Eichenstil) ausgestattet, einer Arbeitsplatte aus Granit (Ubatuba) und Einbau-Elektrogeräten von bekannten Marken. Es roch neu und nach frischer Farbe. Es hatte kein bisschen Charakter. Ich hatte es als eine leere Leinwand gesehen, auf die wir unser neues Leben malen würden. Doch daran waren wir gescheitert. Vielleicht lief es bei uns schon seit Jahren falsch, wie Feuchtigkeit, die ins Fundament kroch, und ich hatte die Warnsignale einfach nicht gesehen.
    Als ich am Nachmittag durch die örtliche Einkaufsstraße mit ihrem Dutzend Geschäfte schlenderte, fiel mir der zweite Grund ein, weshalb wir uns für das Haus entschieden hatten. Dieses kleine Viertel war uns in dem riesigen Moloch London wie eine lauschige Insel der Freundlichkeit erschienen. Es gab die türkische Bäckerei, die seltsamerweise berühmt für ihr dänisches Plundergebäck war; das Song Bee, unseren Lieblings-Lieferservice, den zwei junge Frauen betrieben, mit chinesischer und malaysischer Küche; Peppe's italienische Feinkost; Akne-Al, wie Ben den Zeitungskioskbetreiber an der Bushaltestelle nannte; und zwei Immobilienmakler, eine Filiale von Wolfe & Diabello an der Ecke, an der ich stand, und Hendricks & Wilson gegenüber.
    Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Hendricks! Sollte ich rüberlaufen und eine Szene machen? Stattdessen drückte ich einer spontanen Eingebung folgend die Tür von Wolfe & Diabello auf. Wenn Mrs. Goodney sich von ihrem kleinen Damian ein Gutachten über den Wert von Canaan House erstellen ließ, konnte ich wenigstens zum Vergleich ein Gegengutachten machen lassen.
    Eine kleine vollbusige junge Frau mit glattem blondem Haar und vorsichtigen Augen saß an einem Schreibtisch am Fenster. Auf ihrem Namensschild stand Suzi Brentwood.
    »Meine Tante denkt daran, ihr Haus zu verkaufen. Könnten Sie uns ein vorläufiges Gutachten erstellen?«
    »Natürlich.« Sie zeigte mir ihre kleinen Perlenzähne. »Ich gebe Ihnen einen Termin mit einem unserer Geschäftsführer. Würde es nächsten Freitag gehen? Bei uns ist gerade viel los. Wie lautet die Adresse?«
    Als ich sie ihr nannte, zuckten ihre Brauen minimal nach oben.
     

11 - Schwarze Melasse
    Als der nächste Freitag endlich kam, regnete es wieder, ein elender Dezemberniesel, der Straßen und Dächer melancholisch grau färbte. Inzwischen bereute ich den Termin mit dem Immobilienmakler und dachte daran, abzusagen, doch irgendetwas an Canaan House regte

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