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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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herauskommt, dass Sie in irgendeiner Weise Druck auf die alte Frau ausüben oder in irgendeiner Weise unangemessen von dieser Beziehung profitieren, dann ist das eine Sache für die Polizei.«
    Es dauerte einen Moment, bis diese Dreistigkeit bei mir ankam.
    »Ich
bin diejenige, die
Sie
anzeigen sollte. Sie und Damian. Ich habe Ihren kleinen Plan durchschaut. Und Sie haben den Nerv, mitten in der Nacht mit solchen Anschuldigungen bei mir anzurufen ...«
    »Ich beschuldige niemanden, Mrs. Sinclair. Lassen Sie mich das klarstellen. Ich gebe Ihnen nur einen Rat und informiere Sie über Konsequenzen, die ein gewisses Verhalten Ihrerseits nach sich ziehen würde.«
    Sie legte auf. In der Stille, die folgte, hörte ich die Uhr ticken und ein leises
ker tschunga tschunga
aus Bens Zimmer. Ich merkte, dass meine Hände zitterten.
     
    Trotz Mrs. Goodneys verschleierter Drohung am Telefon wurde Mrs. Shapiro noch vor Ende der Woche aus dem Krankenhaus entlassen und kehrte mit dem Taxi nach Hause zurück, wo sie ekstatisch von Violetta begrüßt wurde, kraftlos von Mussorgski und mit einer toten Taube von Wonder Boy. Die anderen vier waren auch da, rieben sich an ihren Beinen, rollten sich auf den Rücken und schnurrten wie Motocrossräder.
    Ich hatte den Dreck im Flur weggemacht, einen Heizlüfter aufgestellt, ein bisschen eingekauft und eine Vase mit Blumen auf den Tisch im Flur gestellt. Außerdem hatte ich den Schlüssel ins Schloss in der Küche gesteckt, damit sie die Hintertür benutzen konnte. Sie wirkte fit und froh, wieder zu Hause zu sein. Sie legte den Persianer ab und leerte eine Plastiktüte aus, die den rosa Chenillebademantel enthielt und einen einzelnen Stöckelschuh. Der andere war verloren gegangen. An den Füßen trug sie immer noch die
König-der-Löwen-
Hausschuhe.
    Ich machte eine Kanne Kaffee und Sardinentoast - keine besonders gute Idee, wie ich schnell merkte - und wir setzten uns an den Küchentisch. Die Katzen umkreisten uns, vom Geruch der Sardinen angezogen, und ich tunkte etwas Brot in das Sardinenöl und warf es ihnen vor. Blitzschnell hatten sie es verschlungen und umkreisten uns wieder. Wonder Boy sprang auf Mrs. Shapiros Schoß und begann ihr mit seinen großen Schlägerpfoten kräftig die Schenkel zu massieren; ab und zu schnappte er sich mit der Pfote ein Stück Sardinentoast von ihrem Teller. Violetta saß auf meinem Schoß und schnurrte süß, wenn ich sie streichelte.
    »Sie sind mir eine sehr gute Freundin, Georgine. Ohne Sie hätten die mich ganz gewiss ins Altenheim gesteckt.«
    Wir prosteten uns mit den Kaffeetassen zu.
    »Auf die Freundschaft.«
     
    Doch etwas nagte an mir. Immer wenn ich sie ansah, fragte ich mich, was aus der anderen Frau auf dem Foto geworden war. Lydda.
    »Haben Sie keine Familie, Mrs. Shapiro? Schwestern? Oder Brüder? Irgendjemand, der sich um Sie kümmern kann?«
    »Warum sollte sich jemand um mich kümmern? Vor diesem kleinen Unfall war alles in bester Ordnung.«
    »Erwachsene Kinder vielleicht? Oder Cousinen?«, beharrte ich.
    »Ich brauche niemand. Mir geht es bestens.« Grimmig biss sie in ein Stück Toast.
    »Auch wenn es Ihnen jetzt bestens geht, Sie werden nicht jünger und ...«
    »Ich glaube, ich werde die Stadt verklagen.«
    »... natürlich helfe ich Ihnen gerne, aber ...«
    »Die sollten sich besser um die Trottoirs kümmern. Die denken wohl, wir wählen sie nur, damit sie unser Geld den Einwanderern nachwerfen? Ich zahle seit sechzig Jahren Steuern für dieses Haus. Ich finde, die schulden mir eine Entschädigung.« »Naja, bevor wir dazu kommen ...«
    »Ja, ich verklage sie auf Entschädigung. Ich gehe gleich heute Nachmittag zur Bürgerhilfe.«
    »Ich finde, Sie sollten noch nicht ausgehen, Mrs. Shapiro. Warten Sie, bis Sie ein bisschen bei Kräften sind. Außerdem kommt heute Nachmittag die Dame vom Sozialamt. Wissen Sie noch? Ihr Versorgungspaket?«
    »Versorgungsquatschpaket.«
    »Ich finde, Sie sollten ...«
    »Ich will kein Paket. Auf keinen Fall ein Paket.«
     
    Mrs. Shapiros Versorgungspaket war eine dünne mürrische Frau namens Elvina aus Estland mit Mitessern auf der Nase und einem Diplom in Volkswirtschaft. Sie brachte tatsächlich etwas Ordnung ins Chaos in der Küche, und das Haus im Allgemeinen wirkte sauberer, doch wie als Antwort darauf hatte der Phantomscheißer seine Anstrengungen verdoppelt, und inzwischen tauchten jeden Tag
zwei
kringeiförmige Haufen auf, einer in der Eingangshalle und einer in der Küche, direkt hinter der

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