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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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den Nazis und den Juden?«
    »Nein, nicht wie Nazis«, er schnalzte gereizt mit der Zunge. »Nicht übertreiben! Israelis wollten nicht gesamte arabische Volk ausrotten, sondern nur aus Land vertreiben.«
    »Aber das jüdische Volk braucht doch auch ein Heimatland.«
    Er seufzte. Seine Mundwinkel verzogen sich nach unten. »Aber warum in Palästina? Palästinensische Volk hat Juden nie was getan. Pogrom, Ghetto, Konzentrationslager - das haben Europäer gemacht. Warum müssen sie dann Rache an uns austragen?«
    »Es ist doch einmal ihr Land gewesen, oder? Bevor die Römer sie vertrieben haben.«
    »Land gehört viele Völkern. Alle Nomaden Völker wandern von hier nach da, folgen ihren Schafen. Palästina, Libanon, Syrien, Jordanien, Ägypten, Arabien, Mesopotamien. Wer weiß, wo alle herkamen?«
    Ich war jetzt völlig verwirrt. All diese Orte - wie zum Teufel kamen die da mit rein? Ich musste im Internet nachsehen.
    »Sie sagen, Palästinenser haben Bauernhöfe und Häuser verlassen und sind weggerannt, weil Anführer befohlen haben. Nein, sie sind weggerannt wegen Terror. Israelische Staat ist mit Terror gemacht. Denken Sie vielleicht, nur verrückte Araber sind Terroristen?« Mr. Ali war plötzlich ganz und gar un-hamsterhaft.
    »Es tut mir leid, dass ich so wenig weiß. In der Schule haben wir eben nur englische Geschichte gelernt.« »Also Sie müssen von Balfour-Deklaration wissen?«
    »Ein bisschen.« Ich konnte nicht zugeben, wie wenig das bisschen war. »Ging es da nicht um die Aufteilung des Nahen Ostens am Ende des Ersten Weltkriegs?«
    Ich hatte
Lawrence von Arabien
gesehen, mit Peter O'Toole. Er war toll. Diese Augen. Aber ich hatte nie kapiert, wer wen weswegen betrogen hatte. Ich erinnerte mich an die Stelle, wo er vom Motorrad fiel - das war so traurig.
    »Balfour hat gesagt, jüdischen Ziele sollen ohne Beeinträchtigung von Rechten der Palästinenser angestrebt werden.«
    Etwas an seiner Formulierung erinnerte mich vage an das Zukunftsentwicklungsprojekt. Er trank einen Schluck Teichwasser und fuhr fort.
    »Aber palästinensische Volk sitzt immer noch in Flüchtlingslagern. Sie haben Land, Felder, Obstgärten verloren. Sie haben kein Arbeit, kein Hoffnung. Also sitzen in Flüchtlingslagern und träumen von Rache.« Seine Augen glitzerten mit ungewohnter Wildheit. »Sie haben kein Waffen, deshalb machen sie ihre eigen Kinder zu Waffen.«
    Ich setzte noch einmal Wasser auf und dachte dabei an Ben. Wie war er in diese dornige Bibelwelt hineingestolpert?
    »Gibt es da nicht eine Prophezeiung, Mr. Ali? Müssen die Juden nicht den Tempel in Jerusalem wiederaufbauen, weil der Messias dort zurückkommen soll? Den dritten Tempel?«
    »In ihr Buch steht, sie müssen Tempel wiederaufbauen. Aber geht nicht mehr, weil jetzt steht da unsere Moschee - Al-Aksa-Moschee. Neben Felsendom. Eine unserer heiligsten Orte.«
    »Aber stimmt es nicht, dass auch die Moslems auf den letzten Imam warten? Den Imam al-Mahdi. Glauben Sie auch daran, Mr. Ali?«
    Bisher war er mir nicht wie ein Mann mit besonders ausgeprägtem Glauben vorgekommen - außer vielleicht einem besonders bedauerlichen Glauben an weißes PVC.
    »Ich werde Ihre Frage beantworten. Vor allem Schia glauben an Rückkehr von al-Mahdi. Ich bin Sunnit.« Er sah mich neugierig an. »Sie haben in Schule gelernt?«
    »Nein. Im Internet.«
    Jetzt sah ich, dass der harte Glanz in seinen Augen eine Täuschung des Lichts gewesen war, und als er mich anblickte, war sein Gesicht sanft und traurig.
    Ich holte tief Luft. »Eigentlich war es mein Sohn, der mir davon erzählt hat. Er hat das alles im Internet gefunden. Seltsame Internetseiten über das Ende aller Zeit.
    Den Antichrist. Armageddon. Große Armeen und Schlachten. Den Greuel, was immer das sein soll. Er hat Angst vor ... Ich habe mir Sorgen gemacht, das ist alles. Ich wollte verstehen, worum es geht.«
    Der Kessel pfiff, und ich machte uns noch eine Runde Kräutertee. Mr. Ali löffelte wieder drei Löffel Zucker in seine Tasse und rührte um, während er mich ernst ansah.
    »Mrs. George, Jugend ist bereit alles zu glauben, das sie in Himmelreich führt. Sie sterben sogar dafür. Und es gibt immer Flüsterer, die sagen, dass Tod Tor zum Leben ist.«
    »Sie meinen ...?«
    Ich schauderte, als wäre mir ein kalter Luftzug in den Nacken gefahren. Plötzlich sah ich Ben vor mir - meinen süßen, lockigen Ben - die Augen fanatisch glänzend, eine tödliche Bombenlast an seinen jugendlichen Körper geschnallt, während er

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