Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
sogar auf dem Boden. Als er im Uhuru-Park, der im Businesszentrum der Hauptstadt lag, einen Baum pflanzte, kamen unzählige Menschen in die Anlage, um ihm dabei zuzusehen. Fuhren wir im Konvoi durch die Straßen, reckten sie aus den Fenstern von Bussen und Pkws die Köpfe. Die Polizei hatte die Aufgabe, für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen, und ich, die immer die Nase gerümpft hatte, wenn Politiker oder Würdenträger Staus verursacht hatten, saß auf einmal selbst in einem dieser offiziellen Wagen, die den Verlehr lahmlegten. Es war verrückt.
»Erinnerst du dich an deinen letzten Besuch?«, fragte ich meinen Bruder scherzhaft, als wir über den Uhuru Highway rasten. »Tja, was soll man da sagen?«, meinte er und zuckte lächelnd mit den Schultern.
Damals hatten wir in meinem alten Käfer gesessen beziehungsweise am Straßenrand, während zwei Fremde versucht hatten, den qualmenden Wagen zu reparieren.
»Was soll man da sagen«, wiederholte ich und ahmte lachend seine Geste nach. Ich war so stolz auf ihn. Denn aus ihm war wirklich ein Staatsmann geworden.
In Kisumu brachte das Eintreffen von Barack und Michelle das Leben in der Kleinstadt am Ufer des Viktoriasees praktisch zum Erliegen. Tausende wollten meinen Bruder sehen. T-Shirts und Mützen mit Namensaufdruck und andere Souvenirs wurden verkauft, die Menge sang: »Obama! Obama!« Meinen Familiennamen aus all diesen Mündern zu hören, war verwirrend und erhebend zugleich. Entlang der Straße vom Flughafen in die Stadt reihten sich sogar die Menschen in Erwartung seines Kommens. Dies war mein erster kurzer Eindruck von der Rockstaraura, die Barack umgab, und die ich später immer wieder bei seinen Begegnungen mit Menschenmengen erleben sollte. In Kisumu kam natürlich noch hinzu, dass die Leute unglaublich stolz waren, dass eine so wichtige Person seine familiären Wurzeln in ihrer Gegend besaß. Dass Barack ein Luo war, steigerte ihr Selbstwertgefühl in ungeahnter Weise. Jeder Einzelne von denen, die dort am Wegesrand standen oder sich auf dem Gelände des Krankenhauses einfanden, das wir in Kisumu besuchten, empfand Baracks Erfolg als seinen eigenen.
Menschenmassen erwarteten uns auch in Alego. Die Areale der beiden örtlichen Schulen, die er besichtigen wollte, glichen einem Meer Schaulustiger. Wir mussten uns regelrecht durchkämpfen zu dem Zelt, in dem mein Bruder zu den Leuten sprechen sollte. Und ebenso mühevoll mussten wir uns einen Weg zurück zum Auto und zum Hof meiner Großmutter bahnen, der nur wenige Minuten vom Auftrittsort entfernt lag. Es wurde gedrückt und geschoben, jeder wollte Baracks Hand zu fassen bekommen und ein paar Worte mit ihm wechseln. Als Willkommensgruß erhielt er eine weiße Ziege geschenkt, die aber im Gedränge verloren ging. Niemand schien zu wissen, was mit ihr passiert war, als ich mich später nach ihr erkundigte. Wir konnten nur hoffen, dass sie ein gutes Heim gefunden hatte und nicht gleich im Kochtopf einer hungrigen Familie gelandet war.
Der Irrsinn machte auch nicht Halt, als wir zum Hof meiner Großmutter gelangten. Auf den vier Morgen Land, auf dem das Haus von Großmutter Sarah steht, wimmelte es von Menschen. Viele Verwandte waren von weit her angereist, um Barack zu sehen und zu begrüßen. Ähnlich turbulent ging es auf dem Anwesen meiner Mutter nebenan zu, das sie mit Abongos Familie bewohnte, bevor sie zu mir nach England kam. Wir hatten geplant, dass mein Bruder – gemäß der Tradition – die jeweiligen Höfe besuchte. Abongos Ehefrauen wollte er Geschenke vorbeibringen und mit unserer Großmutter eine Mahlzeit einnehmen. Nur mit Mühe gelang es uns, dieses Vorhaben auch einzuhalten. Leider blieb für das Essen bei Großmutter Sarah nur noch wenig Zeit.
»Und er kommt bestimmt wieder?«, fragte sie mich, als wir nach unserem kurzen Besuch bei ihr, der nicht einmal eine Stunde gedauert hatte, wieder zu den wartenden Autos gingen.
»Ganz bestimmt«, antwortete ich.
»Was sagt Granny?«, fragte mich Barack, der neben mir stand. Ich übersetzte, und mein Bruder nickte heftig.
»Sag ihr, ich komme auf jeden Fall wieder. Ich habe meine chapatis auf dem Tisch stehen lassen müssen, schon deshalb werde ich sie wieder besuchen, um diese herrlichen Fladenbrote aufzuessen!«
Unsere Großmutter schenkte Barack ihr breites, warmes Lächeln, auf das ein tiefes Lachen folgte und schließlich ihre üblichen give me five . Diese Angewohnheit war allein Barack vorbehalten – sie war zwischen den
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