Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Bracknell, wo sie zuletzt wohnhaft gewesen war, beantragt hatte.
Als wir uns auf dem Amt nach dem Gesuch erkundigten, hieß es, dafür sei mittlerweile eine andere Stelle zuständig. Bei dieser aber wusste man von nichts und schickte uns zu einer dritten Behörde, die uns ihrerseits weiterverwies, bis wir wieder auf dem ersten Amt landeten, wo nun doch jemand den gesuchten Antrag hervorzuholen vermochte. Das ganze Hin und Her war mit stundenlangen Telefonaten verbunden, die das Mädchen allein niemals hätte erfolgreich führen können. Ohne meine Hilfe hätte sie aufgegeben und weiter »unter der Brücke« geschlafen.
Bürokratische Hindernisläufe dieser Art waren mein täglich Brot. Aber als Mitarbeiterin einer sozialen Organisation konnte ich immerhin auf Antworten und die Beschleunigung von Vorgängen drängen, wenn auch oft nicht viel dabei herauskam. Von Jugendlichen, die am Rand der Gesellschaft standen, zu erwarten, dass sie darin allein ihren Platz fanden, war dagegen zu viel verlangt. Die meisten wussten gar nicht, dass sie Rechte besaßen. Sie erwarteten nicht einmal, dass man sie besser behandelte, wenn sie in die Mühlen der Bürokratie geraten waren, in denen ihnen permanent das Gefühl vermittelt wurde, dass die rechte Hand nicht wusste, was die linke tat.
Obwohl ich viele Mitarbeiter kannte, die sich wirklich bemühten, etwas zu bewegen, frustrierte mich doch das in der Regel eher geringe Mitgefühl, das den in Not geratenen Jugendlichen seitens der Behörden entgegengebracht wurde. Die Folge war, dass ich hart darum kämpfen musste, das Misstrauen der jungen Leute gegenüber Erwachsenen, also auch mir, abzubauen. Angesichts meines kulturellen Hintergrunds staunte ich häufig, welch enorme Kluft Jugendliche und Erwachsene trennte. Ich war davon überzeugt, dass die Erwachsenen den Jüngeren sehr viel mehr entgegenkommen sollten. Doch in den meisten Fällen wurde genau das Gegenteil verlangt: Die Jugendlichen hatten sich anzupassen. Sie sollten sich einfügen und ihren vorgegebenen Platz in einer bestimmten Schublade einnehmen. Bei uns in Kenia gab es sicher auch strenge Regeln, denen man sich unterzuordnen hatte, doch die Familie wirkte so stark auf das Leben der Kinder und Jugendlichen ein, dass eine so große Spaltung zwischen den Generationen gar nicht erst entstehen konnte.
Angesichts dieser Erfahrungen begann ich mir zu überlegen, wie ich meinen Teil zu grundsätzlichen Veränderungen beitragen konnte. Mir war klar, dass ich als Connexions-Mitarbeiterin die Jugendlichen nur für kurze Zeit an die Hand nehmen und nicht viel an ihrer Situation verbessern konnte. So bewarb ich mich eines Tages auf eine Stelle, die vor einiger Zeit im Jugendamt des Nachbarorts Wokingham geschaffen worden war. Die Arbeit dort bestand im Wesentlichen darin, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, verstärkt an sie selbst betreffenden Entscheidungen mitzuwirken. Man folgte damit einer Anweisung von höherer Stelle und plante, ihnen einen Plattform zu verschaffen, von der aus sie sich äußern konnten und ernst genommen wurden. Diese Arbeit schien mir genau auf meine Wünsche zugeschnitten zu sein.
Ich bereitete mich intensiv auf das Bewerbungsgespräch vor und war überglücklich, als ich die Stelle bekam.
Die Umsetzung meiner Pläne und die meiner Kollegen scheiterte aber oftmals am Geld. Die zweitwichtigste Aufgabe neben dem Versuch, Kindern und Jugendlichen Mitspracherecht und Selbstbewusstsein zu geben, war also der Kampf um finanzielle Mittel. Denn ohne das nötige Geld würde auch ich in den Verdacht geraten, nur leere Versprechungen zu verkünden.
Immer häufiger verglich ich in dieser Zeit die englischen Kinder, mit denen ich zu tun hatte, mit den kenianischen. Es tat mir weh, zu sehen, dass sie im Vergleich zu ihren afrikanischen Altersgenossen so viel mehr Möglichkeiten hatten und doch so wenig daraus machten. Zugleich wusste ich, dass diese Betrachtungen sinnlos waren (und die Jugendlichen kaum stärker motiviert hätten). Auf ihre Weise hatten viele der englischen Jungen und Mädchen es unter den gegebenen Umständen ebenso schwer wie die in meiner Heimat.
Eines der großen Probleme war zum Beispiel, dass den Jugendlichen kaum Begegnungsstätten zur Verfügung standen, die nicht auch gleichzeitig Beratungsstätten und somit gebunden an die Erbringung bestimmter Leistungen waren. Dennoch verstand ich nicht, warum sich die Jugendlichen nicht zu Hause trafen, bis mir ein Kollege
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