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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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die Situation war, denn als sie mit zwei Gläsern zurückkehrte, meinte sie mit beschwichtigender Stimme:
    »Es kommt oft vor, dass Fluggäste uns darum bitten.«
    Als sie wieder gegangen war, wandte sich mein Vater mir zu.
    »Hab immer den Mut zu sagen, was du sagen willst, Auma«, sagte er. »Oft wirst du dabei eine angenehme Überraschung erleben.«
    Tatsächlich stimmte es in diesem Fall. Doch sosehr mein Vater auch davon überzeugt war, dass man stets ehrlich sein und das zum Ausdruck bringen sollte, was man dachte, erwartete natürlich auch ihn nicht immer eine angenehme Überraschung. Das hatte ihn aber nie daran gehindert, seiner Überzeugung treu zu bleiben. Und so musste er häufig die negativen Konsequenzen seiner Offenheit in Kauf nehmen. Etwa in der Zeit, als er wegen seiner unverhohlenen Kritik an der Regierung in Schwierigkeiten geraten war, seine Stelle verloren und nur mit größter Mühe wieder einen Posten im Ministerium bekommen hatte.
     
    Die Glasepisode blieb nicht das einzige peinliche Erlebnis während dieses Fluges. Mein Vater versuchte nämlich, sich mit mir über Männer zu unterhalten. Es war, als hätte er auf einmal registriert, dass ich erwachsen geworden war, als fühlte er sich verpflichtet, das brisante Thema anzusprechen.
    Ich ließ ihn reden – doch plötzlich zuckte ich zusammen, als er stolz verkündete, wenn die Zeit reif sei, werde er schon einen geeigneten Mann für mich finden. Wie hätte ich meinem Vater angesichts einer solchen Aussage erklären sollen, dass Amor ihm bereits zuvorgekommen war? Denn zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich gerade in Dieter verliebt und war längst nicht mehr nur sein kleines Mädchen, wie er wohl noch immer meinte.
    In Rotterdam – nach den geschäftlichen Terminen in Amsterdam waren wir in die holländische Stadt an der Nordsee gefahren – aßen wir am letzten Abend unserer gemeinsamen Reise in einem chinesischen Restaurant. Mein Vater bestellte für uns beide Wein. Nie zuvor hatte ich Wein getrunken, und er schmeckte mir eigentlich auch nicht. Aber ich leerte das Glas, weil ich mich vor meinem Vater zum ersten Mal richtig erwachsen fühlte.
    Als wir ins Hotel zurückkehrten, war meinem Vater eine traurige Nachricht hinterlegt worden. Man hatte ihn aus Kenia angerufen, um ihm mitzuteilen, dass sein Cousin George Were bei einem Autounfall in Kisumu tödlich verunglückt sei. Über ihre Verwandtschaftsbeziehung hinaus hatten sich Onkel Were und mein Vater sehr nahegestanden, weshalb der Tod seines Cousins ein schwerer Schlag für ihn war. Zumal erst kurz zuvor ein anderer Verwandter, dem er sich ebenfalls verbunden gefühlt hatte, auch tödlich verunglückt war.
    Dieser zweite Onkel, ein Rechtsanwalt, hatte gemeinsam mit meinem Vater und Onkel Were sowie einer Reihe anderer junger Männer und Frauen zu den Auserwählten gehört, denen eine westliche akademische Ausbildung zuteilgeworden war. Mit diesem Privileg verknüpfte sich die lebenslange Verpflichtung gegenüber den Zurückgebliebenen für deren Wohlergehen zu sorgen.
    Mit diesen Erwartungen waren alle Auserwählten konfrontiert, ganz gleich, ob sie finanziell dazu in der Lage waren, sie zu erfüllen oder nicht. Zutiefst waren sie davon überzeugt, dass sie ihren Familien etwas schuldeten. Für sie galt, dass das, was ihnen gehörte, auch der Großfamilie gehörte. In unserer Verwandtschaft hatte es sich deshalb eingebürgert, bei finanziellen Schwierigkeiten zu meinem Vater – nachdem es ihm in dieser Hinsicht wieder besser ging – oder zu Onkel Were zu gehen. Doch die Zahl der bedürftigen Verwandten überstieg bei Weitem deren Möglichkeiten. Die Familie Obama zählte damals nicht viele ausgebildete und gut verdienende Mitglieder. Die meisten von ihnen hatten weder eine ordentlich bezahlte Arbeit wie mein Vater noch ein gut gehendes Geschäft wie Onkel Were. Selbst wenn es ihre Absicht gewesen wäre, hätten sie nicht sämtlichen in Not befindlichen Familienmitgliedern helfen können. Dennoch versuchten sie, alles in ihrer Macht Stehende zu tun.
    Nun aber war Onkel Were, der zweite stützende Pfeiler der Familie, tot. Dass zwei seiner engsten Verbündeten in so kurzem Abstand ums Leben gekommen waren, traf meinen Vater hart. Ich sah ihn leiden, hier in der Fremde, weit weg von zu Hause. Aber wie hätte ich ihn trösten sollen? Obwohl unser gemeinsamer Abend bis zum Eintreffen der Todesnachricht sehr angenehm verlaufen war und mein Vater und ich uns ein wenig angenähert hatten, war

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