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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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Romanistik und war tanzbegeistert wie ich. Ich begegnete ihr zum ersten Mal bei einem Job, den ich über die Arbeitsvermittlung des Stundentenwerks bekam. Wir arbeiteten beide als Stationshilfen in der Hals-Nasen-Ohrenklinik der Universität. Die Arbeit war für mich neu und anstrengend. Besonders das Bohnern des Linoleumbodens mit einem sogenannten »Blocker« war eine echte Herausforderung. Man musste das schwere Gerät gut unter Kontrolle haben, da es sonst in alle Richtungen über den Boden sauste, gegen die Bettpfosten knallte und die Kranken aufschreckte.
    In den Pausen stöhnten Maria und ich über das Monstrum und lachten über Beinahe-Katastrophen. Die Krankenhauserlebnisse schweißten uns zusammen und waren der Anfang einer bis heute währenden Freundschaft.

    Als nun meine Mutter in unserer Frauenwohngemeinschaft eintraf, wollte ich natürlich sofort mehr über die Beziehung meiner Eltern erfahren und war neugierig darauf, wie die Dinge sich damals im Einzelnen zugetragen hatten. Und vor allem wollte ich wissen, warum meine Mutter uns bei meinem Vater gelassen hatte, wo wir doch noch so klein waren.
    »Ich hätte nicht anders handeln können«, lautete ihre Antwort, als wir einmal alleine in der Küche saßen. »Als er mich nicht mehr zur Frau haben wollte, wusste ich nicht mehr ein noch aus. Wie hätte ich mich ohne Unterhalt um zwei kleine Kinder kümmern sollen?«
    Ich wollte ihr nicht glauben, dass sie uns allein deswegen aufgegeben hatte. Mir gingen die Erzählungen einer früheren Mitschülerin durch den Kopf, die von ihrer alleinstehenden Mutter großgezogen worden war. Diese hatte auf dem Markt Gemüse verkauft, um das Schulgeld zusammenzubekommen.
    »Hat es dir denn nicht wehgetan, uns aufzugeben?«
    »Die Zeiten waren hart«, verteidigte sie sich weiter. »Ich war so jung und völlig durcheinander. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass ich nicht mehr mit deinem Vater zusammenleben würde.«
    Ich verstand sie einfach nicht. Und ich wollte sie auch nicht wirklich verstehen. Denn in diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass ich auch ihretwegen keine »richtige« Familie besaß. Dass es nicht nur an meinem Vater gelegen hatte. Auch sie hätte damals anders handeln, andere Entscheidungen treffen können. Ich spürte einen alten Groll in mir aufsteigen, und merkte, wie ich mich innerlich verhärtete, genau wie damals bei meinem Vater in Rotterdam.
    »Vieles ist nicht so gelaufen, wie ich es mir gewünscht hätte, Auma«, fuhr meine Mutter fort. »Daran kann ich jetzt nichts mehr ändern. Du sollst nur wissen, dass ich, als ich euch eurem Vater überlassen habe, fast verrückt geworden wäre. In mir ist damals etwas zerbrochen, und danach hat sich mein Leben völlig verändert.«
    Ich schaute meine Mutter an und versuchte zu begreifen, so schwer es mir auch fiel. Sie sah mich ebenfalls an, und ihr Blick bat um Verständnis.
    »Dein Vater und ich waren sehr verliebt, bevor er in die USA ging.«
    In ihren Augen schimmerten keine Tränen, aber ihre Stimme verriet Schmerz und Enttäuschung.
    »Wir waren damals ständig zusammen«, fuhr sie fort. »Er hat mir alles beigebracht. Selbst die Kleider, die ich trug, hat er für mich ausgesucht. Als dein älterer Bruder geboren wurde, war dein Vater so stolz auf seine kleine Familie. Dich gab es ja da noch nicht.« Sie lächelte mich liebevoll an.
    »Mich gab es in dieser Konstellation nie«, erwiderte ich bitter. Ich kam gegen meine Gefühle einfach nicht an. Nach einer Weile fragte ich: »Denkst du manchmal darüber nach, wie es hätte sein können, wenn er nicht fortgegangen wäre?«
    »Schon lange nicht mehr. Es ist so gekommen, wie es gekommen ist. Es hat keinen Sinn, ständig zu spekulieren.«
    Nach und nach akzeptierte ich den Gedanken, dass zu einer gescheiterten Beziehung immer zwei gehören. Ich musste mich wohl damit abfinden, dass nur mein Vater und meine Mutter wirklich wussten, was damals geschehen war. Alle anderen, die Opfer ihrer einstigen Entscheidungen geworden waren, hatten damit zu leben.
    Um zu vermeiden, dass unsere schwere Vergangenheit uns einholte und uns die schöne Heidelberger Zeit verdarb, trafen wir die stumme Vereinbarung, uns nicht ausschließlich mir ihr zu beschäftigen und all das, was in unseren Diskussionen hochkam, nicht zu persönlich zu nehmen.
     
    Eine Sache ließ meiner Mutter aber keine Ruhe: dass ich in meinem Alter keinen Freund hatte. Ich erklärte ihr, ich sei immer noch in einen Mann verliebt, mit dem ich aber

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