Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Opiyo fast vollständig ausgelöscht hat. Denn mein Bruder erlitt nur kurze Zeit nach dem Tod unseres Vaters selbst einen tödlichen Verkehrsunfall. Wieder erfuhr ich dies durch einen Anruf von Tante Jane. Als ich den Hörer auflegte, wusste ich, dass ich ihn genauso stark vermissen würde wie damals, als er mir als Dreijähriger genommen wurde. Und dass ich ihn noch genauso liebte wie einst, obwohl ich ihn kaum kennengelernt hatte.
Mein Vater war nicht mehr da, und die Familie Obama musste sich wieder fangen und ihr künftiges Zusammenleben gestalten. Das war einfacher gesagt als getan. Denn unmittelbar nach dem Tod meines Vaters tat sich eine Kluft auf.
Jael war nicht mit meinem Vater verheiratet gewesen. Doch da sie ein Kind von ihm und zurzeit seines Todes mit ihm zusammengelebt hatte, wollte die Familie Obama sie nicht verstoßen. Als bloße Freundin hätte Jael jedoch nicht an den Bestattungsritualen teilnehmen dürfen, da sie nicht als Teil der Familie Obama anerkannt worden wäre. Also wurde vorgeschlagen, meinen Vater und Jael gemäß einem Luo-Brauch nachträglich zu trauen.
Nicht alle Familienmitglieder waren mit der Post-mortem-Ehe einverstanden. Unterstützt von muslimischen Verwandten, die aus religiösen Gründen gegen diesen Brauch waren, lehnten sie diese ab. Sie wollten verhindern, dass meinem Vater nach seinem Tod eine Ehefrau aufgezwungen wurde. Nach langen Diskussionen siegte schließlich die von Odima argumentativ stark vertretene Luo-Tradition, und die Gegenseite wurde überstimmt. Es wurde Geld für den Brautpreis aufgetrieben, und ein jüngerer Bruder meines Vaters, Onkel Yusuf, und einige weitere männliche Verwandte machten sich eilig auf den Weg zu Jaels Familie, um dort in Vertretung meines Vaters um ihre Hand anzuhalten. Nun konnte Jael an der Beerdigung teilnehmen, und ihr Sohn George wurde als Mitglied der Familie Obama anerkannt.
Jael, die nach dem Tod meines Vaters eine Arbeit im Finanzministerium bekam, durfte noch einige Monate in dem Haus in Upper Hill wohnen, bis sie mithilfe der neuen Stelle auf eigenen Füßen stehen konnte.
Tante Marsat blieb in Alego und half, die vielen Gäste zu empfangen, die noch lange nach dem Tod meines Vater kamen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Danach zog sie zu ihrer Schwester Zeituni.
Mit der Zeit entfernte sich Jael immer stärker von der Familie Obama, außer über ihren Sohn George gab es keine wirkliche Verbindung mehr zu uns. Eines Tages ging sie dann mit ihrem Sohn ganz fort.
16
Ich hatte meine Mutter eingeladen, einen Teil des Sommers mit mir zu verbringen. Im Jahr 1984 besuchte sie mich zum ersten Mal in Heidelberg. Da ich nie wirklich mit ihr zusammengewohnt hatte, außer in meinen ersten Lebensjahren, von denen mir nichts in Erinnerung geblieben war, erschien mir ihr Besuch eine gute Gelegenheit, dies nachzuholen.
Was uns verband, war keine klassische Mutter-Tochter-Beziehung. Wir hatten uns zwar oft gesehen, seitdem ich sie mit dreizehn Jahren »wiedergefunden« hatte, aber stets bei anderen Leuten, bei meiner Tante Jane, bei ihrer eigenen Mutter oder sonstigen Verwandten. Nirgends waren wir beide alleine gewesen.
Jetzt, in Heidelberg, hatte ich die Möglichkeit, sie ohne Zwänge und Ansprüche näher kennenzulernen. Nach dem Tod meines Vaters hatte sie ihren Platz als dessen erste Frau eingenommen und lebte wieder bei meiner Großmutter auf dem Hof in Alego.
Ihr Besuch war für einen Monat geplant. Ich freute mich sehr auf diese Zeit und malte mir aus, was wir alles gemeinsam unternehmen würden, lauter Dinge, die Mutter und Tochter so zusammen machen. War schon ihr einstiger Versuch – ich war damals fünfzehn –, ein »richtiges« Familienleben nachzuholen, gescheitert, sollte sie jetzt wenigstens an meinem Leben teilhaben.
Wir verbrachten eine wunderschöne Zeit miteinander. Meine Freunde wollten nicht glauben, dass sie meine Mutter war, die meisten hielten sie für eine ältere Schwester. Da sie mich schon mit siebzehn bekommen hatte, war der Altersunterschied zwischen uns nicht sehr groß – sie war bei ihrem Besuch erst einundvierzig.
Oft saßen wir bei mir im Zimmer und redeten. Seit einiger Zeit teilte ich mir mit anderen Studentinnen eine Wohnung in der Heidelberger Altstadt, lebte also nicht mehr im Wohnheim. Dort war unser häufiger Gast meine Freundin Maria, mit der wir kochten und tanzten oder spazieren gingen.
Maria war schlank, hatte kurzes, braunes Haar, studierte
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