Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
nicht mehr zusammen sei, weil er mich vor zwei Jahren verlassen habe.
Sie konnte nicht fassen, dass ich noch nach einer so langen Zeit der Trennung in einen Mann verliebt war, der mich nicht liebte. »Das ist nicht normal«, meinte sie besorgt und riet mir, Dieter schleunigst zu vergessen und mir einen anderen Freund zu suchen.
Es war September, die Zeit des neuen Weins und Zwiebelkuchens. In der Altstadt wurde der Heidelberger Herbst gefeiert, an allen Ecken spielten Musikgruppen bis tief in die Nacht. Die ganze Stadt war auf den Beinen. Meine Mutter und ich liefen durch die Hauptstraße und blieben hier und dort stehen, um uns eine Gruppe anzuhören. Plötzlich wurde mir ganz flau im Magen: Auf einer Bühne spielte eine Rockband, und am Bass stand … Dieter.
Als ich ihn meiner Mutter zeigte, war sie nicht sonderlich beeindruckt.
»Der raubt dir den Schlaf?«, meinte sie leicht abfällig. »Der ist es nicht wert. Und besonders gut sieht er auch nicht aus.«
Erst war ich schockiert über ihr Urteil, dann aber versuchte ich, Dieter mit den Augen meiner Mutter zu sehen. Zum ersten Mal fragte ich mich, was mich eigentlich noch so sehr an ihm fesselte. Aber ich fand keine Antwort.
Nach dieser Zufallsbegegnung formte sich in mir der heilsame Wunsch, dem Dieter-Wahn endlich ein Ende zu setzen. Er quälte mich ohnehin schon viel zu lange. So beschloss ich eines Tages, mich mit meinem Ex zu treffen. Meine Mutter hatte recht. Ich musste herausfinden, ob ich tatsächlich noch in ihn verliebt war oder nur etwas bewahren wollte, was ich einmal für ihn empfunden hatte. Also rief ich ihn an und verabredete mich mit ihm für den darauf folgenden Nachmittag in seinem Zimmer im Studentenheim, wo er noch immer wohnte.
Die Stunden bis zu diesem Treffen gehörten wohl zu den schwersten Stunden, die ich bis dahin erlebt hatte. Ich sagte meiner Mutter nichts von dem Vorhaben. Ich wollte die ganze Sache alleine durchstehen und ihr erst anschließend davon erzählen.
Es war ein sonderbares Gefühl, wieder im Comeniushaus zu sein, an dem Ort, an dem ich mich so unsterblich verliebt hatte. Seine Zimmernummer kannte ich noch auswendig.
Dieter begrüßte mich kühl. Ich setzte mich und erzählte ohne Umschweife, dass meine Gefühle für ihn mich nicht losließen. Er schien nicht weiter erstaunt darüber zu sein, sondern antwortete nur: »Ich weiß.« Dabei lächelte er. Ach, dieses Lächeln! Es war mir noch so gut in Erinnerung. Mit diesem Lächeln hatte er immer ein wenig scheu und verlegen ausgesehen und gleichzeitig unwiderstehlich. Aber an diesem Nachmittag erkannte ich in seinen Augen weder Scheu noch Verlegenheit. Er wirkte selbstbewusst und überlegen. Und ich spürte, wie ich mich innerlich von ihm entfernte.
Ich erkannte den Mann, der da vor mir saß, auf einmal nicht wieder. Hatte ich mich wirklich zwei Jahre nach ihm gesehnt? Er zeigte keinerlei Mitgefühl für meinen Liebeskummer. Es schien ihm im Gegenteil zu gefallen, dass ich noch immer in ihn verliebt war.
Beim Abschied wusste ich, dass ich ihn aus meinen Gedanken streichen konnte. Ich hatte mit meinem Besuch das Richtige getan. Endlich konnte ich aufatmen und wieder nach vorne schauen.
Und als ich meiner Mutter davon berichtete, lächelte sie mich nur vielsagend an. Die restliche Zeit verbrachten wir völlig unbeschwert, wir genossen unser Zusammensein und die gute Stimmung zwischen uns viel zu sehr, um sie uns durch traurige Geschichten verderben zu lassen. Wir verbrachten viel Zeit mit meinen Freunden. Meine Mutter sollte sie alle kennenlernen. Besonders mit Maria unternahmen wir oft Spaziergänge, kochten zusammen oder gingen tanzen – bis sie wieder zurück nach Kenia fliegen musste.
17
In der Post lag ein Brief, der in kleiner, sehr sauberer Schrift meinen Namen und meine Heidelberger Adresse trug. Die Schrift glich verblüffend der meines Vaters. Und als ich den Umschlag umdrehte, sprang mir der Name Barack Obama entgegen. Ich werde nie den Schreck vergessen, der mir in diesem Moment durch die Glieder fuhr. Diese Schrift, dieser Name – dabei war mein Vater schon seit einiger Zeit tot. Langsam öffnete ich den Umschlag und zog einen dicht beschriebenen Bogen Papier daraus hervor. Die Ähnlichkeit mit der Schrift meines Vaters fiel in diesen Zeilen noch stärker auf.
Der Brief stammte von meinem Bruder Barack. In unserer Familie war immer nur von »Barry« die Rede gewesen, dem unbekannten Bruder, der bei seiner Mutter,
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