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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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Familie kennenlernen, und zu ihr gehört auch George.« Ich versuchte, die Direktorin zu erweichen, aber sie blieb unerbittlich: »Trotzdem ist das nicht möglich. Sie müssen jetzt wirklich die Schule verlassen.«
    George stand verständnislos dabei und blickte vom einen zum anderen. Er kannte uns nicht, und er wusste somit auch nicht, was das alles zu bedeuten hatte.
    »Okay, lass uns gehen«, sagte Barack. Er spürte, wie in mir die Kampflust erwachte, aber er wollte keine Szene machen. »Wir haben George ja gesehen.«
    Dann wandte er sich zu dem Jungen: »Es war sehr nett, dich zu sehen, kleiner Bruder. Gern hätte ich noch ein paar mehr Worte mit dir gewechselt, aber das geht jetzt nicht.«
    »Bis bald, George«, sagte ich und gab ihm die Hand.
    »Bye«, erwiderte der Kleine höflich. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts.
    Was mag wohl in diesem Augenblick durch seinen jungen Kopf gegangen sein? Plötzlich tauchten da zwei Fremde auf, die sein Bruder und seine Schwester sein wollten. Das musste doch verwirrend sein!
    »Hat Jael Gründe, sich so zu verhalten?«, fragte Barack, der seine Enttäuschung kaum verbergen konnte.
    »Sie hatte Streit mit meiner Mutter. Es ging um das Erbe unseres Vaters. Seitdem redet sie nicht mehr mit uns. Tut mir wirklich leid für dich.«
    Wenig später saßen Barack und ich im Auto stumm nebeneinander. Unser Vater hatte es uns nicht leicht gemacht.
     
    War gerade kein Verwandtenbesuch angesagt, unternahmen wir Ausflüge, einmal an die Küste, ein anderes Mal in den Masaai-Mara-Wildpark. Barack sollte sehen, wie schön das Land seines Vaters war.
    Um den Nationalpark zu besichtigen, schlossen wir uns einer dreitägigen Safaritour an. Der Fahrer wählte die Route entlang des Berghangs, die zum Rift Valley Escarpment führte. Ich kannte diese Strecke gut und erzählte Barack alle paar Minuten von der spektakulären Aussicht, die ihn erwartete. Im Zug nach Kisumu hatten wir ja nichts von dem Grabenbruch sehen können, weil es zu dunkel war.
    Als Kind hatte mein Vater oft diese Route gewählt, wenn wir die Großeltern auf dem Land besuchten. Sie war früher die Hauptverbindung zwischen Mombasa und Kisumu gewesen. Meist hielten wir unterwegs an einer winzigen Kirche, die während des Zweiten Weltkriegs von Italienern errichtet worden war.
    Danach ging es steil bergauf, und ich erinnerte mich daran, dass mir schwindelig wurde, wenn ich durchs Autofenster in die Tiefe blickte. Jetzt war diese serpentinenreiche Straße von vielen Schlaglöchern durchsetzt, doch dann bogen wir endlich um die letzte Kurve – und vor uns lag ein atemberaubendes Landschaftspanorama. Ehrfürchtig stand ich neben meinem Bruder und betrachtete das Land unserer Vorfahren.
    Es dauerte danach noch weitere fünf Stunden, bis wir den Nationalpark erreichten. Unsere Gruppe bestand aus Europäern und Amerikanern. Ich erklärte Barack, dass wir Kenianer uns die teuren Safaris normalerweise nicht leisten könnten.
    »Sieh mal, eine Thomson-Gazelle«, rief plötzlich der Italiener, der neben mir saß.
    »Was hat Thomson damit zu tun?«, wandte ich belehrend ein. »Diese Tiere gab es bei uns schon immer. Nur weil dieser Schotte, Joseph Thomson, voller Staunen ein Tier entdeckt hat, das es bei ihm zu Hause nicht gab, heißt es jetzt nach ihm. Die Kenianer nennen es Swara.«
    Der Italiener schaute mich verwundert an. Barack hatte sich schon an mich und meinen kenianischen Stolz gewöhnt und lächelte nur. Wahrscheinlich ahnte er auch, dass ich mit meinen Ausführungen noch nicht fertig war.
    »Finden Sie denn nicht, dass das eine Zumutung ist?«, fragte ich ernsthaft.
    Der Mann wusste nicht, wie er auf meine Frage antworten sollte. Er schaute verwirrt um sich.
    »Ich will nicht unhöflich sein, aber viele andere Dinge hier wurden von Europäern umbenannt, als hätten sie sie als erste Menschen entdeckt. Ich frage mich dabei bloß, was die Afrikaner denn für sie waren? Anscheinend keine Menschen.«
    In den nächsten zwei Tagen sahen wir noch viele Tiere, und aus der anfangs doch sehr ernsten Diskussion wurde ein Spiel, bei dem wir darüber debattierten, welcher Name am besten passen würde, der offizielle oder der traditionelle.
     
    Mombasa, die Stadt an der Küste, war wieder ein ganz anderes Erlebnis als Masaai Mara. Erneut wählten wir den Zug, um zu unserem Ausflugsziel zu kommen. Es ging Richtung Osten. Frühmorgens trafen wir in der lebendigen Hafenmetropole ein, anschließend nahmen wir die Fähre, danach einen Matatu

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