Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Begegnung mit dem Maxl. Allzulang aber dauerte eine solche Feindschaft nie. Irgendein Zufall ergab ein Zusammentreffen. Zuerst wurden frostige, gleichgültige Worte gewechselt, keiner der beiden erwähnte auch nur ein Wort über den Streit, und zum Schluß hockten sie wieder in der Stube und redeten gut miteinander, als habe zwischen ihnen überhaupt nie eine Meinungsverschiedenheit bestanden. Sogar zärtlich klang ihr Gespräch zuweilen, denn der Maxl hatte die arme Kathl trotz all ihrer Fehler gern. Sie war nicht dumm und verstand, sich anregend zu unterhalten. Sie hatte Phantasie und Witz, und der Tonfall ihrer Stimme, ihr reizvolles Lachen hatten etwas ungemein Einnehmendes. Manchmal bei solchen Gelegenheiten entschlüpfte dem Maxl das Geständnis: »Mit dir, wenn ich red’, Kathl, da rast’ ich mich aus. Es ist schad’ um dich! Du Malefizweib, du durchtriebenes! Grad wohl tut’s, wenn man mit dir beisammenhockt!« Dann sah er sie an, dieses zarte Geschöpf mit dem in der Mitte gescheitelten, glatt-schwarzen Haar, ihr blasses, feines Gesicht, ihre ganze, etwas zerbrechliche Gestalt im dunklen, adrett sitzenden, einfachen Kleid, und unschwer erriet man, daß ihm alles daran behagte. »Du bist eine echte Bäckerische, Kathl! Durch und durch!« schloß er dann. Obgleich die Kathl diese Schmeicheleien stets mit einer ironischen Bemerkung abzutun pflegte, war doch offensichtlich, daß sie sich darüber freute. Die Resl begriff nicht, wie man so oft und heftig streiten und sich ebenso rasch wieder versöhnen konnte. Unvermerkt lugte sie manchmal auf die Geschwister, und in ihren Augen glomm eine winzige, schnell wieder verfliegende Verachtung auf. Nie mischte sie sich in diese Unterhaltungen. Sie hatte ihre Arbeit, und die Kinder waren noch klein. Gerade daß sie bei schönem Wetter vor dem Haus herumlaufen konnten. Der Maxl war fünf, die Resl vier und der Eugen erst drei Jahre alt. Und schon wieder wuchs der Leib der Bäckerin.
Im März, im April und den ganzen Mai hindurch war jeder Tag sonnig gewesen. Schwere Taufälle gab es nachts, und in der Frühe, wenn die Mäher sie mit ihren blinkenden Sensen betraten, glitzerten die saftgrünen, blumenübersäten Wiesen wie edelsteinbesetzte Teppiche in der Sonne. Um die voll erblühten Obstbäume flogen Bienen und Schmetterlinge. Das versprach ein reiches Obstjahr. Die jungen Saaten schossen rasch in die Höhe, und über allen Gebreiten stimmten an jedem Morgen die Vögel ihr heiteres Konzert an. In den ersten Junitagen wurde es trüb. Es fing fein zu regnen an, und langsam wurde alles rundum dunstig und grau. Die dünnen Tropfen trommelten leise auf die Baumblätter, auf die Fensterscheiben und Dächer. Wie ein unablässiges, eintöniges Summen hörte sich dieser Regen an. Große Pfützen entstanden auf den aufgeweichten Dorfstraßen. Darin patschten die Kinder herum. Es regnete tagelang, nächtelang.
»Diesmal schwimmen wir zu Pfingsten«, murrten die Bauern. Auch der Maxl, für den ein sonniges Fest einen ergiebigen Geschäftsgang versprach, war ärgerlich. Er prüfte jeden Tag das Barometer, das er vom Konrektor Kernaller gegen ein Geschichtsbuch über den Krieg von 1866 eingetauscht hatte. Außer dem Maxl mochte der Kernaller keinen Menschen im Dorf. Mit ihm redete er ab und zu einige Worte, wenn er in der Frühe in seinem Vorgärtchen auftauchte. Solche Gespräche bezogen sich meist auf die Zeitereignisse. In Berg hieß der Konrektor der »Politikus«. Er schien sich auch nur mit solchen Dingen zu beschäftigen.
Zuweilen kam es vor, daß die Kinder den alten Griesgram reizten, dann hob er einen Stein und warf ihn ihnen nach. Kam ein Dörfler an ihm vorüber, so knurrte er nicht selten und zeigte seine zusammengebissenen Zähne. Der andere aber mußte nur lachen und ging weiter. Es hieß, Kernaller studiere allerhand närrisches Zeug. Da er aber nie jemanden in sein Haus ließ und jeden stets an der Türe abfertigte, wußte man nichts Genaues. Keiner kümmerte sich um den seltsamen Menschenfeind. Man fand ihn nur drollig, denn er trug allzeit einen abgeschabten, langen Morgenrock, riesige Filzpantoffeln und ein winziges, gesticktes Käppchen auf seinen gelb-grauen Haaren.
Zufällig, in einer Frühe, als der Maxl vor das Haus trat, sah ihn der Kernaller und rief, abgehackt und herausgestoßen, wie es seine Gewohnheit war, grinsend über den Gartenzaun: »Haha, Bäcker-Maxl, ha! … Jetzt geht’s der Monarchie an den Kragen. Haha! Nur zu wünschen! Nur zu
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