Das Leben meiner Mutter (German Edition)
selber, der Stallmeister Hornig, der Hofbarbier und einige Leibdiener. Und was geschah bei solchen Gelegenheiten? Der düstere Monarch saß soupierend am Tisch des riesigen, hellglitzernden Speisesaals, auf einen Stuhl neben ihm war die Marmorbüste Marie-Antoinettes und auf einen anderen die Ludwigs XIV. gestellt, und mit diesen imaginären Gästen unterhielt sich der unheimliche König im gewähltesten Französisch. Die sich tief verbeugenden Lakaien standen reglos da.
Es gab eine Säule im Schloß Herrenchiemsee, vor welcher Ludwig jedesmal ehrfürchtig stehen blieb, sie stumm streichelte und küßte. Nicht selten brach er vor dem Bild Marie-Antoinettes ins Knie, bekreuzigte sich und flüsterte zerknirscht ein kurzes Gebet. Grenzenlos verehrte er diese Königin. Am Jahrestag ihrer Hinrichtung ließ er stets prunkende Seelenmessen lesen, umkränzte ihre Bilder und führte lange Gespräche mit ihnen, als seien sie lebendige Menschen.
Nach Herrenchiemsee überraschte der Monarch seine Minister mit dem fertiggestellten Plan einer noch weit kostspieligeren Burg: Schloß Falkenstein. Zugleich kündigte er den Bau eines byzantinischen Riesenpalastes an. Ein Darlehn von sieben und einer halben Million war für ihn aufgenommen worden. Mehr Geld konnte nicht beigebracht werden. Das Ministerium war ratlos. Die Münchner Bürgerschaft murrte.
Der König begann hemmungslos zu rasen. Er bekam Tobsuchtsanfälle. Er schickte seine unkontrollierbaren, geheimen Vertrauensleute gegen den Willen der Minister an alle europäischen Höfe, er wandte sich an Bismarck, an den Schah von Persien und an die Rothschilds, und er verhandelte zugleich mit der nicht mehr regierenden, aber ungewöhnlich reichen Orleans-Dynastie wegen eines Darlehns. Dort endlich wurde ihm auch eines zugesagt unter der Bedingung, daß Bayern sich in einem kommenden preußischfranzösischen Krieg neutral erkläre. Ludwig machte bedenkenlos Zugeständnisse und schickte Hesselschwerdt mit vertraulichem Handschreiben auf den Weg. Die gefährlichen Schriftstücke aber wurden von der bayrischen Regierung beschlagnahmt, und Bismarck erfuhr auf der Stelle davon. Der Kanzler wurde unruhig und schickte Weisungen nach München. Die Prinzen des bayrischen Hofes und die Regierung beratschlagten. Um kein Aufsehen zu erregen und sich nach allen Seiten zu sichern, beriefen sie berühmte Nervenärzte, die auf Grund von Berichten der Dienerschaft des Königs ein medizinisches Gutachten ausarbeiteten. Es war eine schwierige, höchst gefährliche Lage. Bis jetzt hatte man ängstlich verheimlicht, was mit dem König vorging. Nun auf einmal sollte das treu anhängliche Volk glauben gemacht werden, daß ein Geisteskranker es seit langem beherrschte. Ganz Bayern wurde unruhig. Die Leute in den Dörfern und Gebirgsgegenden redeten offen von den »Münchner Hoflumpen« und wurden immer rebellischer. Es gab hin und wieder einige heimliche Verhaftungen, doch die Wellen der Liebe für den unglücklichen König stiegen und stiegen in den stürmischen Herzen der Landleute.
»Das geht nicht gut aus, sag’ ich, Maxl!« sagte der Schmalzer-Hans. Er hatte sich – es war schwer zu sagen, ob aus einer plötzlichen, übermütigen Eingebung oder aus derbschlauer Berechnung – auf seine Weise gewissermaßen aus der schwülen Gefahrenzone zurückgezogen. Eines Tages nämlich, als sich die Dienerschaft im Berger Schloß langweilte, war der Hans auf den tollkühnen Gedanken gekommen, die Frage zu stellen, wie es sich wohl im Bett Seiner Majestät liegen würde.
»Da gibt’s ein einfaches Mittel, Hans … Leg dich hinein, dann weißt du es!« hatte der schon etwas berauschte Lakai Weber gesagt und – kurzerhand tat’s der Hans. Er war auf einmal verschwunden und nicht mehr auffindbar. Das Unglück aber wollte es, daß in der Frühe die Ankunft des Königs gemeldet wurde, was das ganze Hofgesinde aus seiner Ruhe stöberte. Und was entdeckten sie? Den schnarchenden Schmalzer-Hans im königlichen Bett! Der Schrecken läßt sich denken. Meldung wurde keine gemacht, aber der Johann Baur, der Schmalzer-Hans, wurde auf der Stelle davongejagt. Er nahm es gar nicht weiter übel. Er schien sogar froh zu sein. Seither ging er im Dorf herum, trug immer noch seine Hoflivree, was ihm keiner verwehrte, und – wartete auf seine Pension, auf die er fest rechnete. Da er seit langem im sogenannten Außendienst tätig gewesen war und da man an der Vertuschung des Vorfalles das größte Interesse hatte, endete
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