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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Mittagessen oder bei der nachmittägigen Brotzeit, während sie langsam den Löffel zum Munde führte –, stets fielen unserer Mutter die Augen zu. Erschöpft knickte ihr Kopf herab. Sie riß ihn hastig in die Höhe und lächelte ganz dünn, wie beschämt. Aber sie war zufrieden und ausgeglichen, denn das Geschäft ging gut, und die Plage war nicht umsonst. In ihrer stillen Art freute sie sich auch, als endlich der Hausbau fertig war. Unserem Vater entging das nicht. Unbemerkt und genau so verschwiegen freudig beobachtete er sie. Öfter ging sie in die der Kuchl gegenüberliegende Mehlkammer, in der jetzt viel mehr Platz war. In die neue, saubere Backstube kam sie und betrachtete sinnend den ansehnlichen, blank getäfelten Ofen. Der gutgewölbte, vergrößerte Stall schien ihr besonders zu gefallen. Er war hell und luftig, und die Schwalben nisteten bereits wieder über dem Kuhstand, was Glück und Segen bedeutete.
    Geruhig fuhr sie mit der Handfläche über den glatten Rücken der trächtigen Kuh. Eine tiefe, wohltuende Regung schien sie zu durchströmen. Sie ging aus dem Stall und stieg die Stiege hinauf. Da war wieder die »warme Kammer« der »alten Resl« über dem Backofen, neu und größer als früher. Das Bett der Marie stand jetzt auch darin. In dem hellgrau getünchten Zimmer daneben schliefen Theres und Emma. Es roch frisch nach jungen Mädchen darin. Dann kam die zweibettige Gesellenkammer. Gegenüber vom Gang führte eine Türe in die Heutenne, die nun viel umfänglicher war.
    Der Vorderteil des Hauses war unverändert geblieben. Im großen, zweifenstrigen Zimmer über der Kuchl waren Eugen, Maurus und Lenz untergebracht. Es kam ein kleiner Durchgangsraum mit drei Türen, in welchem, solange wir Kinder waren, die Gitterbettstätten für Anna und mich standen. Durch die rechte Tür gelangte man in die elterliche Ehekammer, die linke führte in die sogenannte »gute Kammer«, wo zufällige Besucher untergebracht wurden. Diese Kammer hatte Wände mit einer blauen Tapete, in der große Blumen prangten. Der Vater war stolz darauf und meinte oft, da könnte auch eine Fürstlichkeit übernachten. Vor dem Hause streckte eine uralte Esche ihre Äste aus, und nachts rauschten deren Blätter ganz leise …
    Es war eine reiche Zeit, die von Jahr zu Jahr besser zu werden schien. Und es war eine sichtbar »neue Zeit«. Gleichsam von der Entwicklung übergangen und sehr schnell zur Legende geworden, war der alte Bismarck vor einigen Jahren gestorben. Dabei erinnerten sich Leute wie unser Vater noch einmal an ihn und sagten: »Wenn der geblieben wär’, da hätt’ alles noch einen richtigen Respekt.« Die aufsässigen Maurer, die ohne Nachzahlung keine Minute länger arbeiteten, als abgemacht war, und die Bäckergesellen, die jetzt bei ihrer Anstellung fast frech einen festgelegten Lohnsatz nannten, waren für ihn respektlos. Er schimpfte oft darüber, und unsere Mutter, die sich nie in solche Dispute mischte, warf gleichgültig hin: »Mein Gott, so ist’s jetzt schon einmal. Da kann man nichts machen.« Sie hatte sich nie um den Bismarck gekümmert und wußte nicht einmal, wer jetzt eigentlich regierte. Es war ihr auch gleichgültig, dennoch schien es, als unterliege sie – wenn auch anfangs noch so widerstrebend und mißtrauisch – sehr schnell den »neumodischen« Erscheinungen und Dingen, die sich sicher ohne Bismarck und das jetzige Regime auch durchgesetzt hätten. Und das ging auch uns Kindern so.
    Das Haus war fertig. Unsere Mutter legte einen kleinen Pflanz- und Blumengarten an. Der Eugen fuhr mit dem Schubkarren den übriggebliebenen, aufgehäuften Sand in den hinteren Hof, streute ihn umher und stampfte ihn glatt. Zwei fremde Männer blieben am frischgestrichenen Gartenzaun stehen und fragten nach dem Vater.
    »Drinnen in der Kuchl ist er … Was möchten Sie denn?« forschte die Mutter leicht abweisend. Fremde blieben ihr immer fremd.
    »Wir kommen vom Elektrizitätswerk von Wolfratshausen und wollten uns erkundigen, ob Sie Licht wollen?« erwiderte einer der Männer.
    »Licht? … So … Ja, wir haben doch Petroleumlampen genug!« meinte die Mutter.
    Sie begriff nicht, was die Menschen wollten.
    Doch sie sagte endlich: »Gehts nur in die Kuchl zu ihm.« Seitdem alles mit dem Anbau gut abgelaufen war, überließ sie Neueinführungen dem Vater viel widerspruchsloser. Sie vertraute mehr auf ihn.
    Der Eugen, der neugierig geworden war, folgte den Männern und kam nach einer Weile wieder aus dem

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