Das Leben meiner Mutter (German Edition)
in den Obstgärten und Hecken lebhafter. Die Sonne strahlte, und der wolkenlose Himmel spannte sich glasklar über die Breiten. Die »alte Resl« hockte wie immer draußen in der Windelwiese, unbeweglich wie ein sitzender Buddha, und schaute leer in die warme Luft.
Der Vater hatte ein paarmal Auseinandersetzungen mit dem Fischhaber und erzwang, daß noch mehr Bauleute eingestellt wurden. Er war gereizt und unruhig und trieb und trieb. Er vergaß oft das Mittagessen und stieg noch tief in der Nacht im wachsenden Bau herum. Mochte kommen, was wollte, wenn zu Anfang des Sommers die Herrschaften aus der Stadt kamen, mußten wenigstens die Backstube und der Ofen fertig sein.
»Das ist mir gleich, wie du es fertigbringst! Das interessiert mich durchaus gar nicht!« schrie er den kleinen, mageren Bauunternehmer Fischhaber an und drohte: »Aber das eine sag ich dir, wenn ich vom ersten Juni ab kein Brot liefern kann, mach’ ich dich für jeden Schaden verantwortlich!« Er ließ keine Einwände gelten. Die Maurer griffen unwillkürlich flinker zu, wenn er auftauchte. Sie murrten, aber das Innere der Backstube wurde langsam fertig. Unter dem flachen Gewölbe des Ofens lagen die schwitzenden Ofenbauer und schlugen den zähen Lehm für die Backfläche glatt. Der hohe Kamin wuchs aus dem rohen Ziegelbau. Der Vater kommandierte, unablässig und schimpfend.
Die Italiener warfen ihm finstere Blicke zu. All seine frühere Sicherheit, sein gelassener Humor waren verflogen. Er schien mit allen verfeindet. Auch wir Kinder, unsere Mutter, das ganze Hauswesen existierten kaum mehr für ihn. Er war verbohrt und verbissen.
An einem Nachmittag kam er verstimmt in die Kuchl. Wir zwei Jüngsten spielten mit zerschlagenen, glatten weißen Kachelplatten vom Ofenbau. Unsere Mutter hatte sich ein wenig hingesetzt, um zu verschnaufen. Er sah ihre gefalteten Hände, ihre bewegten Lippen und schrie wütend: »Du glaubst fort und fort, du machst es mit dem Beten! …
Das Beten hilft da gar nichts! Schimpfen und fluchen muß man, dann wird richtig gearbeitet.«
»Max? … Fürcht dich doch Sünden!« sagte unsere Mutter schmerzhaft, »es läßt sich doch nichts übers Knie abbrechen! … Das gibt ein Unglück!«
»Ah – Unglück?! … Blödsinn!« stieß er heraus, schaute sie giftig an und sagte, sich umdrehend: »Ich mag gar nimmer reden!« Schon ging er wieder und warf die Tür krachend zu.
Unsere Mutter schaute hilflos ins Hohe, stand schweigend auf und arbeitete wieder weiter. –
Kurz nach der Dämmerung, als die Maurer und Italiener vom Bau gingen, kam der Maier-Valentin in unseren Hof gelaufen und schrie atemlos: »Bäck! Die Zigeuner haben die alte Resl gestohlen! Auf und davon sind sie mit ihr!«
Jäh erbleichte der Vater. Unsere Mutter, die es hörte, rief: »Um Gottes Himmels willen!« Die Kathl kam aus dem Häusl gelaufen. Die Zigeuner, die schon eine gute Woche unbeachtet weitab vom Dorf gelagert hatten, trieben auf einmal jedem den Schreck ins Gesicht. Ratlos starrten alle, dann fing ein verwirrtes Durcheinanderreden an.
»Sag’s weiter im Dorf! … Sie sollen einspannen und nachfahren!« befahl der Vater dem Valentin. Von Gruseln ergriffen, standen wir Kinder da, wußten nicht, sollten wir weinen oder mitlaufen, und sahen zu, wie die Bauleute, die Italiener mit Hämmern, Eisenklammern und Prügeln kopflos durch das schmale Gäßlein zwischen dem Windelgarten und dem Wäscherhäusl der Kathl zum Dorf hinausrannten. Das ganze Dorf war rebellisch geworden. Wir Kinder jagten auf die Windelwiese und sahen Männer auf ungesattelten Rössern auf der Straße dahinsausen, Fuhrwerke wirbelten Staub auf, und Hunde liefen bellend nebenher. Ganz schwarz war es auf der Straße von laufenden Menschen, die weit weg im »Starnberger Holz« verschwanden.
»Mein Gott, mein Gott! … Ich hab’s gesagt, es gibt ein Unglück!« rief unsere Mutter fast weinend und zog uns Jüngste ins Dorf zurück.
»Da bleibts … Das gibt Mord und Totschlag!« schrie sie den älteren Geschwistern nach, aber die liefen dem Troß der Verfolger nach. Wir waren sehr verärgert, daß wir zurück mußten, und plärrten wie am Messer. Das wiederum versetzte unsere Mutter in Wut, und sie gab uns etliche derbe Püffe.
Sie kam mit uns in die Kuchl zurück, nahm das Weihwasserfläschchen von der Wand, besprenkelte uns, dann die Wände, ging in die Stube, in den Laden, den Stall und auf den Bau und verspritzte das ganze heilige Wasser. Dabei flüsterte sie
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