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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Haus. Mit wichtiger Miene erzählte er, daß wir »das Elektrische« bekommen würden, das auch schon die meisten Nachbarn bestellt hätten.
    »Was? … Das Elektrische?« meinte die Mutter, der verzwickte Worte stets schwer von der Zunge gingen. »Was soll denn das schon wieder sein?« Mißtrauisch furchte sie die Stirn. Da aber kam auch schon der Vater und erklärte. Ungläubig hörte sie zu. Sie konnte sich Licht ohne Zündholz und Petroleum durchaus nicht vorstellen. Und sie erwartete von dem »neumodischen Zeug« nicht das mindeste, wenngleich der Vater sagte, es sei billiger, praktischer und reinlicher.
    Schon am anderen Tag kamen zwei Monteure in blauen, grobleinenen Arbeitskitteln zu uns, schlugen kleine Löcher in die frischen Wände und gipsten Schaltdosen ein, schraubten Knipser an und zogen Drähte, und am Abend standen wir alle verdutzt, freudig erregt in der Kuchl und starrten fast ehrfürchtig auf die kleine, weiß-leuchtende Glasbirne an der Decke. Der Vater war begeistert, Mutter sagte gar nichts. Wir aber rannten in die Mehlkammer, in die Backstube, an den Ofen, in den Stall und oben hinauf und knipsten wie um die Wette, so lange, bis die Birnen ausgebrannt oder sonst etwas passiert war. Nichts konnte uns davon abhalten. Es gab öfter Kurzschlüsse, und das neue Licht funktionierte oft tagelang nicht. Immer wieder wurden die Petroleumlampen herbeigeholt. Langsam aber gewöhnten wir uns an das Licht, und endlich sagte die Mutter doch: »Hmhm, auf was die gescheiten Leute doch alles kommen! … Der Kramerfeicht kauft sich einen neuen Heurechen … Er sagt, da kann er den Ochs einspannen, und arbeiten tut das für drei … Hmhm, und beim Schatzl haben sie neulich gesagt, sie wollen eine Maschin’, die sogar von selber mäht … Wenn das so weitergeht, da mag bald kein Mensch mehr arbeiten.«
    Ja, die Bauern entdeckten den praktischen Wert der neuen landwirtschaftlichen Maschinen sehr bald. Sie konnten sich’s auch leisten. Es ging auf- und vorwärts in diesen bewegten Jahren. Selbst die abgelegensten Dörfer am Ufer des Sees verloren in kurzer Zeit ihr bäuerliches Gesicht. Abgesehen von den zahlreichen Tagestouristen und Sommergästen, die in den besseren Fischer- und Bauernhäusern ihren Urlaub verbrachten, siedelten sich jetzt immer mehr fremde Herrschaften aus allen Ländern an. Der Verdienst der Bauunternehmer, der Handwerker und Gewerbeleute riß nicht ab. Maurer und Italiener hatten viel zu tun. Die Wirte scheffelten Geld, die Metzger wußten oft nicht, woher sie das viele Fleisch nehmen sollten, und unsere Bäckerei ging glänzend. Am wohlhäbigsten aber wurden die Fischer und Bauern, die Grundstücke am Seeufer hatten.
    In Berg und Leoni trat eine eigentümliche Veränderung ein. An dem stundenlangen Uferstrich von Leoni bis Ammerland machten sich neben den ehemaligen Künstlern und vornehmen Münchner Kaufleuten jetzt hauptsächlich altbayrische Adelsfamilien ansässig. Stolze Burgen und solide Villen erstanden dort.
    Ganz anders war es in Berg. Da wurde zunächst auf Befehl des »Landesverwesers« Prinzregent Luitpold nur eine ziemlich geschmacklose Gedächtniskapelle für »weiland König Ludwig II.« im Schloßpark erbaut. Die grünen Ufergelände aber, welche am Ende des Unterdorfes anfingen und sich – das verschlafene, höhergelegene Kempfenhausen rechter Hand liegen lassend – bis nach Starnberg hinüberzogen, blieben merkwürdigerweise im ersten Jahrzehnt nach dem Tode des unglücklichen Königs ziemlich unbebaut. Verlassen und verwaist stand die ehemalige Richard-Wagner-Villa mit ihrem großen, träumerischen Park da. Endlich erwarb der russische Fürst Barjatinsky den herrlichen Sitz, machte einige Umbauten und führte Sommer für Sommer einen pompösen Hof. Vier- und sechsspännige Luxuskutschen mit teuren Edelpferden tauchten auf den staubigen Landstraßen auf und wurden allgemein bestaunt und beredet. Sehr oft sah man die zahlreichen Angehörigen und Gäste der fürstlichen Familie über die abgemähten Felder galoppieren. Es wurden laute, nächtliche Feste im stillen Park abgehalten, und es gab eine Menge Dienerschaft, die – so fremd ihnen das auch vorkommen mochte – sich sonntags unter die Leute mischten, mit ihnen tranken und den Dorfschönheiten nachstiegen.
    Offenbar hatte der verschwenderische Fürst an der Gegend großen Gefallen gefunden und bei seiner Heimkehr nach Rußland davon erzählt, denn schon im darauffolgenden Jahr erbauten die Prinzen von

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