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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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unausgesetzt betende Worte vor sich hin und bekreuzigte sich ab und zu. Wir liefen neben ihr her und schauten dumm drein. Die Kathl, die erschöpft zurückkam, blieb unten vor den Mauern stehen und rief herauf: »Jaja, hoffentlich zeigt sich unser Herrgott diesmal erkenntlich! … Naja, wenn das ganze Dorf dabei ist, können die Zigeuner kaum aufkommen dagegen! Es fragt sich bloß, ob sie die Bande überhaupt noch erwischen.« –
    Es war schon ganz dunkel, als der Troß der Verfolger lärmend zum Dorf hereinkam. Die schwitzenden Pferde wieherten und schnaubten prustend, die Fuhrwerke polterten, kläffend sprangen die Hunde herum, die Weiber der Nachbarschaft liefen zusammen, und jeder rühmte sich laut wegen seiner Heldentaten. Wahrscheinlich hätten die Zigeuner den Zwerg als Abnormität für einen Wanderzirkus gebraucht, meinten die Leute.
    Mit erhitzten Gesichtern kamen der Vater und die älteren Geschwister zur Kuchl herein, die »alte Resl« in der Mitte. Vor der offenen Türe blieben die Maurer und Italiener stehen.
    »Die Starnberger Gendarmerie hat die ganze Sippschaft arretiert! Die Bagage kommt nicht mehr in unseren Gau!« erzählte der Vater von den Zigeunern und wischte sein schwitzendes, verstaubtes Gesicht ab.
    »Und passiert ist weiter nichts?« fragte unsere Mutter besorgt.
    »Gar nichts!« rief der Eugen stolz und stellte sich mit seiner Eisenstange breitbeinig in die Kuchlmitte. »Schad’, daß die Gendarmen so schnell ’kommen sind. Wir hätten die ganze Bande glatt erschlagen.« Man sah, der Mutter war gar nicht wohl dabei. Sie fürchtete sich vor irgendeinem nachwirkenden Fluch der Zigeuner.
    »Maurer! Gehts zum Wiesmaier ’nunter, und trinkts jeder eine Maß Bier auf meine Kosten!« sagte der Vater, und lustig zogen die Bauleute ab. Die Italiener aber gingen in den Windelhof hinüber.
    Und jetzt, da das Erzählen anfing, wobei natürlich jeder in unserer Kuchl eine neue Einzelheit hinzufügte – jetzt redeten Vater und Mutter nach langer Zeit wieder friedlich miteinander. Wir achteten zwar nicht sonderlich darauf, aber wir fühlten es. Es war gleichsam ein körperliches Wohlbehagen. Solang nämlich unsere Eltern zwei feindliche Parteien bildeten, schwebten auch wir Kinder mehr oder weniger in einer zerfahrenen Ungewißheit. Im Augenblick aber war für uns die »alte Resl« wichtig, ja, sie wurde auf einmal zu etwas ganz Besonderem. Wir umringten sie und redeten auf sie ein. Sie jedoch machte nur hin und wieder eine kurze, mürrische Abwehrbewegung mit dem Arm und plapperte: »Zigeunerwagen stink – Roß lauft –.« Und sie wiegte dabei ihren dicken Kopf, als ob sie das polternde Schaukeln des eilig dahinrollenden Wagens nachahmen wollte. Offenbar hatte ihr nur das irgendeinen Eindruck gemacht …

Der Dollar an der Wand oder Schatten der Vergangenheit
    Backstube und Ofen wurden zur rechten Zeit fertig. Aus dem hohen, noch nicht mit Mörtel beworfenen Kamin stieg wieder jeden Tag der dicke Rauch in den Himmel. Unser Vater triumphierte. Die eintreffenden Sommergäste bekamen wie immer in der Frühe die frischen Semmeln und Wecken ins Haus geliefert.
    Wie neubelebt arbeitete wieder unsere ganze Familie einträchtig zusammen. Es dämmerte noch, wenn die Marie in scharfem Trab mit dem vollbeladenen Brotwägelchen aus dem Dorf nach Leoni fuhr. Erst am tiefen Vormittag kam sie zurück. Abwechselnd trugen Theres und Emma das Brot ans Seeufer nach Unterberg, und der Eugen, der nunmehr nachts in der Bäckerei mithalf, ging in das entferntere Kempfenhausen. Dabei durften ihn an schulfreien Tagen und während der Ferien der Maurus oder der Lenz begleiten. Zwei Gesellen standen außer Eugen in der Backstube, und vom Samstag auf den Sonntag half der Vater auch noch mit.
    Unsere Mutter magerte sichtlich ab. Nimmermüd rakkerte sie. Um vier Uhr früh – die Nachbarschaft schlief noch – begann ihr Tagewerk mit dem Hineinzählen der Semmeln in die Körbe, nebenher kochte sie den Kaffee und bediente die ersten Kunden, die in den Laden kamen. Zwischenhinein mußte die von der Marie übriggelassene Stallarbeit besorgt, die »alte Resl« angezogen und gekämmt und das Essen für Mittag aufgestellt werden. Später ging es aufs Feld. Es gab Wäsche, und an jedem Samstag wurden die Böden gescheuert. Tausend unbeachtete, notwendige Handgriffe vermengten sich damit, und dabei behinderten die Bauleute, die bis in die Sommermitte hinein zu tun hatten, nicht wenig. Stets wenn sie sich hinsetzte – beim

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