Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Schinderkarren, die miserabligen! Die Hurenkarren, die mistigen!« raunzte er giftig, ballte eine Faust und fuhr mit der einen Hand wieder an die verbundene Schläfe. Langsam liefen wir neben dem Wagen her, fragten und fragten und bekamen keine Antwort, aber Vaters Geschimpf klang uns wie Musik in den Ohren.
»Max! Max, so reg dich doch nicht so auf! Halt dich doch! Der Doktor hat doch gesagt, das ist gefährlich!« suchte unsere Mutter ihn zu besänftigen.
Es klang besorgt und zärtlich zugleich, und von Zeit zu Zeit umspannte sie Vaters Schultern fester.
Die Nachbarn hatten sich versammelt, als wir daheim ankamen, und wollten alles genau wissen. Doch unser Vater sagte nur: »Gehts nur heim! Diesmal hätt’s mich bald erwischt, aber Unkraut verdirbt nicht.« Der Wiesmaier und die Mutter mußten ihn stützen, als er ins Haus ging. Er hatte ein tiefes, zwei Finger breites Loch in der Schläfe, das blieb. Er mußte lange Zeit im Bett liegenbleiben. Jeden zweiten oder dritten Tag kam der Doktor. Langsam wuchs um die eingebuchtete Stelle eine dünne, durchsichtige Haut. –
Die Untätigkeit peinigte unseren Vater. So im Liegen überdachte er das ganze Unglück, und ein berserkerischer Grimm ergriff ihn. Die Automobilisten waren einfach, ohne sich um ihn zu kümmern, davongefahren. Jeder Mensch aber wußte, es war der protzige, leichtlebige Baron Hirsch mit seinen Damen gewesen, der in der weiteren Umgebung ein großes Gut und eine Brauerei besaß.
Eugens Lehrzeit ging im selben Sommer zu Ende. Nach seiner Heimkehr kaufte er Büro-Utensilien und richtete eine »doppelte amerikanische Büchführung« bei uns ein. Schreibmaschinen waren noch kaum bekannt, dagegen kopierte man wichtige Briefe in einer Presse. Diese Heimkehr Eugens war unserem Vater gerade recht, sie kam wie gewünscht.
»Das Recht liegt ganz und gar auf meiner Seite! … Der niederträchtige Mistbaron! Der Windbeutel, der unverschämte, der soll mich kennenlernen!« erklärte er kampflustig dem Eugen seinen Plan. »Der soll zahlen, daß er weiß, was wir Bürgersleut’ sind! Dem komm’ ich, wart nur!« Und er entwarf sprechend einen Brief, in welchem er seine Schadenersatzansprüche geltend machte. Eugen widersprach nicht und notierte.
»Nur keine falschen Rücksichten, verstehst du?« polterte der Vater, »du schreibst genau, wie ich gesagt hab’. Anreden tust ihn nicht anders als wie mit Gauner, Mordslump, Sie gewissenloser! Sie schuftiger Weiberhengst, Sie! Sie kleines bißl Dreckbaron, Sie! Sie hergelaufener Hurenhengst, was glauben Sie denn eigentlich, Sie? … Genau so schreibst du! Um keinen Buchstaben anders, verstehst du!?« Er war in seinem Element, er lebte förmlich auf. Eugen nickte zu allem. Dann ging er in die Stube hinunter und schrieb einen zwar bestimmt gehaltenen, aber korrekten Brief an den Baron und kopierte ihn. Es war nur gut, daß der Vater nicht weiter danach fragte. Nach einer Woche kam eine Antwort, und die zeigte der Eugen dem Vater. Der Baron erklärte, daß er Schadenersatz in Höhe von fünfzig Mark zu leisten gewillt sei. Unser Vater war doch leicht überrascht von dieser sonderbar sachlichen Antwort, aber er argwöhnte nicht weiter. Er triumphierte nur.
»Siehst du’s!« freute er sich, »der Scheißbaron! Er hat sich ruhig die Meinung sagen lassen, weil er genau weiß, der Lump, daß ich im Recht bin! … Aber hast du schon einmal so einen schäbigen Schuft gesehn? So einen dreckigen Pfennigfuchser! Fünfzig Mark! Fünfzig Mark will er geben! Gnädig will er’s machen, der Gauner, der windige … Haha, daß ich nicht lach’! … Und der kaputte Wagen! Und die Doktorrechnung, wo jetzt schon doppelt soviel ausmacht? Und meine ruinierte Gesundheit? … Aber wart nur! Wart, Baronerl! Dir werd’ ich Pflicht und Schuldigkeit beibringen! Wart nur!« Und erneut diktierte er dem Eugen einen noch viel unflätigeren Brief, den dieser natürlich ganz anders umformte. Immerhin, Eugen wies den Baron auf die erheblichen Arztkosten hin, auf den sonstigen Schaden, und er verlangte entschieden eine angemessene Entschädigung. So ging das einige Wochen hin und her. Inzwischen konnte der Vater schon wieder aufstehen, wenngleich er noch ziemlich wackelig auf den Beinen war.
Der Maxl kam auf Ernte-Urlaub heim. Er erfuhr alles, schien sich aber kaum dafür zu interessieren. Er trug den ganzen Tag seine Uniform, und nur der Soldat war für ihn ein Mensch. Eugen zeigte ihm die angelegten Kassenbücher und die Kopierpresse.
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