Das Leben meiner Mutter (German Edition)
doch er sprach sich nie aus. Allem Anschein nach kam ihm das irgendwie verstiegen vor. Er schämte sich, seinen Wunsch einzugestehen. Er war ein in sich versponnener Bücherwurm geworden, spielte nur selten mit uns mit, war spöttisch, überheblich und jähzornig und sonderte sich gerne ab.
Der Maxl buk die ersten Kuchen. Maurus mußte mithelfen. Die Kuchen aber kaufte vorerst niemand, denn die Herrschaften waren noch nicht da. Sie wurden trocken und altbacken, und schließlich aßen wir sie.
Mutters »Kindsfuß«, vor dem sich Maxl ekelte, war wieder schlimmer geworden.
»So kannst du doch nicht rumlaufen! Der muß ausgeheilt werden! Da stirbst du ja!« warf er hin und wollte gleich den Doktor holen. Unsere Mutter aber wehrte sich heftig dagegen und meinte, sie habe das Leiden nun schon so lange, sie könne es auch weiter aushalten. Der Vater dagegen bestand nun endlich darauf, daß wieder eine Magd genommen werde. Das fand auch der Maxl richtig. Nach langem Zureden willigte unsere Mutter ein, doch sie wollte – wie sie das immer getan hatte – selber eine suchen. Beim nächsten sonntäglichen Kirchgang erfragte sie eine, die bald darauf kam. Sie trug noch die gewohnte bäuerliche Tracht, was unsere Mutter schon von vornherein für sie einnahm, und hieß Leni, war eine kleine Person, aber sehr kräftig und flink, still und sehr fromm und längst über das eigentliche Heiratsalter hinaus. Bald gehörte sie zur Familie. Sie teilte unsere Freuden und Leiden, und niemand verstand sich besser mit ihr als unsere Mutter. –
In der ganzen Pfarrei herrschten damals Bestürzung und Traurigkeit, denn – erzählten die Leute – dem geistlichen Herrn war etwas sehr Dummes zugestoßen. Die Kellnerin vom Klostermaier, ein lustiges, dralles Ding, sah einem Kind entgegen. Eines Tages fuhr sie in die Stadt und kam nieder. Später wurde bekannt, daß sie einem stämmigen Knaben das Leben gegeben habe und in ihre niederbayrische Heimat zurückgekehrt sei.
»Leider, leider aber – der hochwürdige Herr ist der Vater!« raunte einer dem andern bedauernd zu, und so erhaschten’s auch wir Kinder. Allenthalben aber war ein aufrichtiges Mitleid mit dem vielgeliebten, ungemein toleranten Pfarrer, denn jeden Menschen konnte die Sünde befallen. Sie entsprang keiner Schuld, sondern der unwägbaren menschlichen Natur. Sie war ein Unglück.
Betrübt ging der junge Hilfsgeistliche, der Kooperator Gstettner, überall herum und jammerte offenherzig: »Mein Gott, mein Gott, der arme Herr Pfarrer! So ein guter Mensch und so dumm sein! So dumm! … Wenn man so was als geistlicher Herr durchaus braucht, da zieht man doch die Tracht aus und fährt im Zivilgewand in die Stadt! … Der gute, arme Herr Pfarrer!« Und die Gläubigen fanden nichts daran, sie nickten teilnehmend. Es war unabwendbar, der Pfarrer mußte strafversetzt werden. Schon jetzt trauerten alle um den grundgescheiten, friedfertigen Mann, dem sie stets das umfassendste Vertrauen entgegengebracht hatten. Sein »Sündenfall« beeinträchtigte ihr Festhalten an der ererbten Religion nicht im geringsten. Sie war das Grundelement ihres geruhsam eingegrenzten, schlichten Lebens. Wie der geistliche Hirt, so sind auch die ihm anvertrauten Seelen. Und was für ein heiterer, wunderbar weitherziger Pfarrer, was für ein kluger, lebenstrotzender Katholik war doch der Joseph Jost immer gewesen! Wenn er beispielsweise nach dem Abendessen und Brevierbeten in die Wirtsstube vom Klostermaier kam, um Tarock zu spielen – wie unverhohlen verständnisinnig lächelten da die Mitspieler, wenn der geistliche Herr kurz vor Mitternacht hastig seine Uhr zog und gemütlich sagte: »Wally, drei Viertel zwölf ist’s vorbei, bring mir noch schnell vier Maß Bier!« Dem katholischen Ritus entsprechend nämlich durfte er nach Mitternacht nichts mehr genießen. Leer und nüchtern mußte der Magen sein, wenn er in der darauffolgenden Frühe den heiligen Leib des Herrn aufnahm. Doch der weise, allgütige Gott mußte zugeben, daß das, was vor Mitternacht bestellt worden war, nichts gelten konnte!
Das war der ganze Pfarrer Joseph Jost, und den sollten wir jetzt verlieren! Der Maxl grinste, wenn die Rede darauf kam, und machte hämische Witze. Unsere Mutter sah ihn an und sagte: »Jaja, gib nur du acht, daß dir nie ein Fehltritt passiert!«
»Ich bin doch kein Pfarrer!« warf er spöttisch hin. Immer selbstsicherer und herausfordernder trat er auf. Schon fing er an über unsere Zukunft zu
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