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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Feindseligkeit zwischen uns Geschwistern aus. Einer schloß sich vom andern mißtrauisch ab. Wehmütig und hilflos stand unsere Mutter damitten. Sie versuchte zu versöhnen und wußte nicht wie. Niemand hörte auf sie. –
    Einmal an einem Nachmittag kam der Quasterl in die Kuchl. Der Vater hob das Gesicht und sagte: »Quasterl, es wird gescheiter sein, du gehst fort. Dich mag keiner mehr im Haus.«
    »Jaja«, meinte der Quasterl ziemlich unbewegt, und der Vater streckte ihm lahm die Hand hin: »Du bist jetzt auch schon ausgewachsen … Die Bäckerei kannst du! Es wird sich schon was finden für dich. Deine Mutter ist ja auch in der Stadt drinnen.« Es klang verhalten schmerzvoll.
    »Freilich, freilich, jaja, selbstredend, selbstredend!« antwortete der seltsam unempfindliche Quasterl, ging aus der Kuchl, hinauf in die Gesellenkammer, packte seine Siebensachen in ein kleines Köfferchen, und nach einer Stunde war er nicht mehr im Haus. Niemand hatte ihn fortgehen sehen. Keiner fragte mehr nach ihm. Der Maurus hatte sich selbst eine Lehrstelle bei einem Konditor in Karlsruhe gesucht. Diese Bewerbung imponierte dem Max offenbar. Als Maurus fortfuhr, sagte er in seiner militärischen Art: »Na, hoffentlich lernst du ordentlich, sonst spukt’s!« Der Maurus schaute ihn nicht einmal an dabei. Wir nahmen traurig von ihm Abschied.
    Der Lenz verstand es, sich von der Konditorei fernzuhalten. Er wollte Bäcker werden und half auch schon nachts in der Backstube mit. Eugen kam immer seltener nach Hause, die Emma blieb auch die ganze Woche in Starnberg, und außer der Theres waren nur noch wir zwei Jüngsten, Anna und ich, daheim. Wir mußten von nun ab, wenn wir von der Schule heimgekommen waren, dem Maxl bei der Konditorarbeit helfen. Er war immer finster und prügelte uns bei der kleinsten Geringfügigkeit mitleidslos mit allem, was ihm in die Hände kam. Der Vater war schon so schwach und krank, daß er ihm nicht mehr Einhalt gebieten konnte. Der alte Mann kam sich auch wie beiseitegeschoben vor und schien nicht mehr teilzunehmen an dem, was in der Familie vorging. Unsere Mutter hörte zwar unser Klagen, sie redete hin und wieder auf den Maxl ein, doch der achtete nicht darauf.
    Im hohen Sommer einmal kam der Maxl mittags an den Tisch und sagte: »Ja, es gibt Krieg. Morgen oder übermorgen kann ich fort müssen!«
    »Geh! … Krieg?! … Man hat doch noch gar nichts gehört davon!« meinte unsere Mutter. Wir aber freuten uns alle insgeheim und dachten: »Wenn er nur gleich fort müßte! Wenn sie ihn nur totschießen würden!«
    Frankreich versuchte schon lange das damals unabhängige Sultanat Marokko unter sein Protektorat zu bringen. Das mit ihm verbündete England ermunterte und unterstützte es darin. Kaiser Wilhelm war unverhofft in Tanger gelandet, hatte mit dem Sultan verhandelt und die französischenglischen Pläne zu durchkreuzen versucht. Diese drastische Art des Vorgehens, die der Kanzler Bülow und der Staatssekretär im Berliner Auswärtigen Amt, Graf Holstein, dem Kaiser geradezu aufgedrängt hatten, versetzte ganz Europa in Unruhe. Die Mächte waren aufgescheucht durch die Kriegsdrohungen hüben und drüben. Der Kaiser, der nun Angst bekam, wußte nicht mehr weiter und verlangte, unterstützt von Bülow, die Beilegung der Krise durch ein internationales Schiedsgericht. Die Franzosen und Engländer lehnten entschieden ab. In Berlin überlegte man jeden Tag die Mobilisierung. Es sah äußerst gefährlich aus. Der Maxl packte seinen Militärkoffer.
    »Soll nur alles zugrund gehen! Am allerersten der damische Kaiser!« raunzte unser Vater in sich hinein. Nur durch dessen Militär war der Maxl zu einem engstirnigen Rohling geworden.
    Gerade in jenen Tagen hielt der Pfarrer Jost, der nun wirklich seine Strafversetzung antreten mußte, zum Abschied ein feierliches Hochamt mit einer Predigt. Die hohe, geräumige Kirche war gepfropft voll. Vor dem Tor, im Gottesacker, standen die Leute auch noch dichtgedrängt. Die Weiber und Jungfrauen weinten leise. Die meisten Männer hatten ernste, etwas verdrossene Gesichter. Ein bißchen resigniert predigte der geistliche Herr. Auch auf die drohende Kriegsgefahr kam er zu sprechen. Dabei senkte er die Stimme ein wenig und sagte eindringlich:
    »Bleibt unverdrossen und verzagt nicht, meine lieben in Christo versammelten Brüder und Schwestern! Haltet euch an die Werke des Friedens, denn die Werke des Friedens haben immer noch Dauerhafteres geschaffen und die Welt mehr

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