Das Leben meiner Mutter (German Edition)
heftig, »Ihr werdet’s schon sehn, wohin euch der treibt! Bei uns in Amerika würden sie ihn schnell davonjagen, den Großsprecher! Da kann so ein Maxl keine Rolle spielen! Bei uns und bei euch will doch jeder ruhig arbeiten und sein Geschäft machen – warum muß immer so ein Hammel herumschreien und mit dem Säbel drohn!«
Dieses Reden gefiel unserer Mutter offenbar. Nach langer, langer Zeit fühlte sich sich wieder einmal behaglich.
»Euer Vater«, mischte sie sich ins Gespräch, »der hat auch den neuen Kaiser nie mögen. Der alte soll viel besser gewesen sein … Der Vater selig hat allweil gesagt, wer beim Militär was wird, der taugt im Zivil nichts … Die Beamten hat er auch nie mögen. Die hocken bloß ewig aufm gleichen Fleck und schikanieren die Leut’ und wissen nicht, wie sich unsereins plagen muß. Schau bloß den Starnberger Gendarm an, allweil kommt er wieder und fragt nach dem Lenz! …« Der Lenz hatte in Hamburg eine Zustellung bekommen. Er sollte vier Wochen Gefängnis wegen Wilderns absitzen, aber er war längst über dem Ozean. Es freute die Mutter, daß man ihm da drüben nichts mehr anhaben konnte. Sie kam wieder in ein kurzes Nachdenken, schaute geschwind auf den Eugen und fragte in ihrer stoischen Art: »Soso, du meinst, wir kriegen wieder Krieg? Hoffentlich erleb’ ich’s nimmer! Anno 70 haben alle jungen Kerl’ mitmüssen …« Sie schaute auf mich und meinte: »Da kann ja dann sein, daß du mitmußt, Oskar.«
»Ich? … Ich geh’ bestimmt nicht mit, verlaß dich drauf! Mich kriegen sie nicht für den Schwindel!« antwortete ich überheblich. Sie sann kurz nach und schüttelte leicht den Kopf: »Hmhm, jaja, da hast schon recht, Eugen … Nichts wie vom Militär reden sie, jaja … Hmhm, ich möcht’ bloß wissen, für was so ein Scheißkrieg eigentlich gut ist. Die kleinen Leut’ haben noch nie was gehabt davon … Bloß ihre besten Mannsbilder haben s’ verloren …«
Der Eugen ging hin und her und blätterte manchmal in einem meiner Bücher. Der Mutter fiel wieder die Moni ein.
»Hmhm, mitm Zierschürzerl lauft sie ’rum, hmhm«, konnte sie sich nicht beruhigen, »wir haben nie Zeit gehabt, daß wir uns so schön angezogen haben … Und es ist auch gangen!«
»Es ist halt eine neue Zeit jetzt, Mutter«, meinte der Eugen.
»Geh! … Eine neue Zeit! … Das haben sie schon oft gesagt, und wenn du recht hingeschaut hast, ist’s immer das gleiche g’wesen … Wir haben arbeiten und arbeiten müssen, und wenn wir uns nicht gerührt haben, ist nichts umgegangen«, widersprach sie ihm. Ich dachte an meine Plage in der Tivoli-Mühle und mußte ihr Recht geben.
Da saß sie nun in diesem fremden, stillen Zimmer, rastete ein wenig und war dankbar für diese friedliche Stunde.
»Einmal möcht’ ich’s noch erleben, daß ihr alle beieinander seids und nicht streit’ts«, sagte sie beim Aufstehen, »b’hüt di Gott, Oskar … Bei dir ist’s gemütlich g’wesen.« Sie drückte mir die Hand, und ihre Züge wurden wieder schmerzlich. Sie setzte den Hut nicht mehr auf.
»Hm, keine Ruh’ lassen’s mir … Durch den neuen Doktor wird mein Fuß doch nicht besser«, brümmelte sie im Hinausgehen. –
Kurz nachdem sich der Eugen nach Amerika eingeschifft hatte, warf ich meine Arbeit hin, fuhr mit einem anarchistischen Kameraden in die italienische Schweiz und lebte wieder als Vagabund. –
… und glauben, das wäre Größe!
Man schrieb 1913, und es war ein lauer Abend im Vorherbst. Die alten Kastanienbäume im Hotelgarten von Leoni hatten teilweise schon ihre Blätter verloren. Die Herrschaftsvillen an der Uferstraße entlang waren leer. Am Ende des Dorfes geht es bergauf. Der seitab liegende, eingezäunte Berger Schloßpark mit seinen hohen Fichten und verfärbten, gelichteten Laubbäumen lag still, wie ausgestorben da. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Nur irgendwo drang durch die klare Luft ein vereinzeltes Kuhglocken-Klingen des weidenden Viehes.
Fast ein Jahr war ich in der Schweiz und Italien gewesen und wollte meine Mutter wiedersehen. Ich hatte lange, im Genick geringelte Haare. Mein einziger Anzug, den ich trug, sah verschlampt aus. Das Fahrgeld von München hierher und einige Mark dazu hatte ich von meinem Kameraden geborgt. Georg hieß der, hatte jetzt zirka 1000 Mark geerbt und wollte Kunstmaler werden.
»Und du? … Weißt du was? Fang zu schreiben an. Du kannst sowieso so verzwickte Sätze machen«, riet er mir. Daraufhin hatte ich
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