Das Leben meiner Mutter (German Edition)
mich nur mit einer Art unbegreiflicher Bangnis. Ich konnte nicht weiterdenken. Ich rauchte eine Zigarette um die andere, überflog mechanisch die Zeitung, schlug ein Buch auf und las etliche Sätze und wußte nicht, was ich gelesen hatte. Meine Kumpane aus der Boheme kamen mir in den Sinn, wie sie herabmindernd lächeln würden, wenn ich ihnen so etwas erzählte. »Bürgerliche Sentimentalität! Ganghoferei! Mutterkomplex!« und dergleichen. Und während ich so hin-und herschwankte und dachte, versuchte ich mich zu einer Auseinandersetzung mit Eugen zu waffnen.
Bald darauf läutete es. Heftig schlug mein Herz, als sie zur Tür hereinkamen. Im schwachen Lichtschein sah ich Mutters eingefallenes Gesicht unter dem schattenden, schwarzen, unpassenden, häßlichen Strohhut, den ihr die Theres gemacht hatte. Es sah einem Totenkopf ähnlich. Unwillkürlich nahm ich ihr den Hut ab. Ganz dünn war ihr Haar geworden, durchzogen von silbergrauen Strähnen. Schweißperlen glänzten auf ihrer eckigen, faltigen Stirn. Sehr tief lagen ihre kleinen Augen hinter den noch schärfer hervortretenden Backenknochen, und ein vergrämter Zug spielte um ihren schmallippigen Mund; er verwich auch nicht, als sie jetzt ihr karges Lächeln lächelte.
»Herrgott, jetzt siehst du wenigstens wieder aus wie immer, Mutter!« sagte ich, »wer hat dir denn diesen schauderhaften Hut gemacht … Setz dich doch hin!«
»Ja, gell, g’fallt er dir auch nicht … Die Resl will mir ja immer so ein modernes Zeug aufsetzen«, fing sie an und setzte sich in das altmodische Plüschsofa, »und sie geben keine Ruh’ mehr mit meinen offnen Füßen! Zu einem neuen Doktor hat mich der Eugen hinschleppen müssen! Durchaus zuheilen wollen sie meine Löcher, aber das ist doch nichts! … Und was das wieder kostet!« Sie war wie immer. Mir wurde leichter. Der Eugen hockte da und ließ zunächst nur sie reden.
»Ja, und hast du schon einmal so was gesehn, der Eugen nimmt einfach in einem Hotel zwei Zimmer für uns, und nicht laßt er mich heimfahren! … Zwei Mark kost’t das Übernachten für einen jeden! Ich kann ja doch nicht schlafen! Zu was denn soviel zahlen! … Hmhm, mein Oskar, was die noch alles mit mir treiben!« raunzte sie gemütlich. Das war wieder ihr alter, unnachahmlicher Klang in der Stimme. Sie schaute im Zimmer herum und meinte: »Recht gemütlich wohnst du da!« Dann lächelten wir uns wieder zu. Trotzdem ich sehr gespannt war, was denn nun der Eugen eigentlich vorzubringen hatte, fragte ich sie, wie’s daheim gehe und ob sie sich schon umgewöhnt habe.
»Tja, es geht schon, ha!« machte Mutter, »ein bißl klein ist’s halt beim Kramer.«
»Soso, also jetzt hat er endlich geheiratet, der Maxl«, redete ich zwischenhinein, »jetzt ist er also allein Herr im Haus, was.« Sie schien das zu überhören und fing ausführlich von der Hochzeit zu erzählen an: »Ja, laß dir sagen, grad nobel hat er’s geben, der Maxl … Ganz nach dem alten Brauch hat er alles machen lassen, den Kuchlwagen, das Wurstlaufen … Jaja, da kann er ja lustig sein, wenn fremde Leut um ihn sind …«
Sie hielt ein wenig inne, schaute irgendwohin und schloß: »Jetzt bin ich halt neugierig, wie er auskommt mit seiner schönen Moni … Hm, grad dantschig lauft s’ rum den ganzen Tag, und ein Zierschürzerl hat s’ an … Man muß gleich lachen dabei! … Aber um vier Uhr steht die nicht auf, da wird’s oft sechse!«
Merkwürdig – sie sagte es alles ohne Arg, fast lustig hin. Ich schloß daraus, daß sie das Weggehen vom alten Haus gut überstanden hatte. Endlich meldete sich auch der Eugen.
»Ich geh’ wieder nach Amerika«, begann er ziemlich unvermittelt und ein wenig mißgestimmt, »du weißt, was ich wollen hab’! Aber Theres und Emma wollen ja nichts riskieren. Sie verstehn mich auch nicht!« Er brach ab und setzte in anderem Ton dazu: »Und überhaupt – mir macht’s nichts aus! In zwei, drei Jahren habt ihr doch Krieg hier!«
»Krieg? … Ja, warum denn?« fragte die Mutter, und auch ich blickte ihn fragend an.
»Man baut doch keine solche Riesenflotte und ärgert die Engländer in einem fort! … Hm, euer Kaiser! Nichts kennt er als Soldaten, und immer schreit er wie ein Hund, der den Mond anbellt! … Kein Mensch auf der Welt will den Deutschen was, aber er verdirbt noch alles!« redete er weiter.
»Tja – es ist aber doch auch dein Kaiser«, sagte ich ironisch.
»Nein! Ausgeschlossen! Ich bin ein freier Mann!« rief er fast
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