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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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bringen.
    »Dichten? … Das geht doch nicht! Da kommst du doch nicht weiter«, sagte er und wurde deutlicher, »Theres und Emma haben mir erzählt, daß du keine Stellung hast. Ich will dir helfen … Ich rede mit dem Direktor von der Tivoli-Mühle.« Von dieser Mühle hatten wir seit Irlingers Zeiten das Mehl bezogen. In vierzehn Tagen konnte ich dort als Hilfsarbeiter anfangen.
    »Das ist natürlich nur vorläufig. Bald wird’s anders, verlaß dich drauf«, versuchte mir Eugen einzureden. Er war viel in München, machte allerhand Nebengeschäfte und lud mich öfters zum Essen ein.
    Die ungewohnte Arbeit in der Mühle war schrecklich. Den ganzen Tag mußte ich zwei Zentner schwere Säcke schleppen und bekam einen blutigen Rücken davon. Das Hemd klebte daran. Abends riß ich es herab, und Hautfetzen gingen dabei mit. In der Nacht konnte ich nur auf dem Bauche liegend schlafen, und meine Logisfrau beschwerte sich, daß ich ihr Bett verschmutze.
    »Dummes Geschwätz! Verstiegener Unsinn!« verwünschte ich Mühsams anarchistische Lehren. Der Beckenbauer kam mir in der Erinnerung wie ein lächerlicher Schwärmer vor. Der Quasterl, meine Mutter, die Leni – so wie die lebten, war es um uns Untere bestellt. Ducken mußte man sich, und eine lammfromme Geduld gehörte zu diesem Dasein.
    Voll dumpfer Wut klagte ich dem Eugen meine Misere.
    »Ich hab’s in Amerika oft noch viel schlechter gehabt. Ich war im Bergwerk! Du kennst das nicht!« versuchte er mich zu trösten und fuhr fort: »Verlaß dich drauf, ich werde dir bestimmt helfen … Wenn die Theres und die Emma und der Maurus mir folgen, haben wir bald wieder eine Heimat und ein eigenes Geschäft. Da wirst du dann Geselle. Wir zwei backen, der Maurus macht die Konditorei, Theres, Emma und Anna gehn in den Laden und führen den Haushalt, und unsere Mutter kann endlich rasten … Das wird anders wie beim Maxl! Der soll nur heiraten und uns unser Geld auszahlen.«
    Das klang recht einleuchtend. Aber waren wir Geschwister einander nicht schon längst fremd, wenn nicht gar feindlich geworden? Ich brauchte nur an mich und Maurus denken. Und hatte nicht jedes von uns seinen störrischen Eigensinn? Die Eintracht, die der Eugen wieder aufrichten wollte, erschien mir recht fragwürdig.
    Es kam auch ganz anders. Der Maxl heiratete, und Theres und Emma blieben bei ihrem alten Plan, mit Mutter zusammenzuziehen und ein Modengeschäft in Berg aufzumachen. –
    Verschwitzt und müde, brummig und verzagt kam ich an einem dieser Spätsommer-Abende einmal von der Arbeit heim auf mein kleines Zimmer. Da lag ein Zettel: »Wir kommen in einer Stunde – Eugen, Mutter.«
    Ich war erstaunt. War denn etwas Besonderes vorgefallen? Ihr ganzes Leben lang fuhr doch Mutter nur notgedrungen und äußerst selten in die Stadt! Verschreckt und verloren kam sie sich stets in dieser lauten Fremde vor, und man mußte sie wie ein hilfloses Kind über die verkehrsreichen Straßen führen. Meistens blieb sie nur ein paar wirre Stunden lang und wartete nie den Abend ab. Und jetzt war es schon stichdunkel auf den Straßen?!
    Unruhig ging ich auf und ab. Auf die sonderbarsten Gedanken kam ich: Ob Mutter vielleicht schwer krank war? Aber nein, das hätte der Eugen doch auf den Zettel geschrieben!
    Plötzlich stieß mir ins Hirn: Oder hat er vielleicht gar im Sinn, die Mutter nach Amerika mitzunehmen?
    Das ließ mich nicht los. Ich empfand etwas Unaussprechliches, und wenn ich genau nachdachte, mußte ich mich eigentlich über mich wundern: Immer hatte ich geglaubt, die Boheme und die wirren anarchistischen Lehren hätten mich endgültig von allem, was von früher her noch mit mir zusammenhing, losgelöst. Ein Freund aus dem Mühsamkreis hatte mir das Buch Max Stirners ›Der Einzige und sein Eigentum‹ gegeben, und das Schlagwort darin: »Mir geht nichts über mich!« oder die Sätze: »Was soll nicht alles meine Sache sein! Vor allem die gute Sache, dann die Sache der Familie, die Sache des Staates, die Sache der Menschheit, die Sache der Moral – nur meine Sache soll nie meine Sache sein!« nahm ich auf wie ein Evangelium, und ich glaubte allen Ernstes, durch sie könnte ich mich ohne Skrupel von all meinen schäbigen Lumpereien, von den »Bürgerlichkeiten« und von der Familie lossprechen. Und jetzt auf einmal spürte ich fast körperlich, daß ich etwas Niewiederbringbares verlieren würde, wenn meine Mutter weg wäre, ganz und für immer weg. Warum das so sei, war mir nicht klar. Es erfüllte

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