Das Leben meiner Mutter (German Edition)
unserer Mutter und quengelten in sie hinein.
»Und wo ist denn die Leni?« Ein sonderbar betretenes Schweigen setzte ein. Das dicke, etwas fettig glänzende Gesicht der Moni wurde rot.
»Die Leni ist fort … Sie ist in der Stadt drinnen in einem Kloster, bei den Blauen-Kreuz-Schwestern«, erzählte Mutter endlich.
»Ins Kloster? … Hm, das ist zu jetzigen Zeiten schon bald das beste«, sagte ich nachdenklich und fragte nicht weiter. Emma zwinkerte mir heimlich zu, dann warf sie unvermerkt einen schrägen Blick auf die Moni.
»Da kannst ja jetzt du das Brot ausfahren«, wandte sich die Mutter an diese, »im Stall brauch’ ich dich nicht mehr.« Damit war die Moni sehr einverstanden, denn da konnte sie sich mit den Herrschaften und ihren Dienstboten unterhalten, die noch da waren. Klatsch liebte sie sehr.
»Und wer konditort denn jetzt?« fragte ich nebenher.
»Ja, wer denn? … Der Ottl und ich halt! … Bis jetzt ist die Theres mit dem Brot ausgefahren, und die Moni? … Hm! Bis ich der was sag’, da mach’ ich’s lieber selber«, warf die Mutter ungeniert hin. Es klang verächtlich.
»Du läßt dir ja auch nie helfen, Mutter … Du sagst ja nie was!« wollte die Moni sich verteidigen, aber unsere Mutter lächelte nur. »Hm, wenn man einem Menschen schon alles sagen muß! Geh!« Die Moni schmollte ein wenig, dann ging sie unter dem Vorwand, den Brief für den Maxl fertigmachen zu müssen, aus der Kuchl. Vom Tisch aus sah ich meine Mutter, die am Herd stand, von hinten her an. Ihr Rücken war gekrümmt, der Knoten ihres grauen Haares war winzig, die Ärmel hatte sie aufgekrempelt, und ihre sehnigen, von der Sonne dunkelbraun gebrannten Arme waren knochenmager.
»Der Scheißkrieg!« fing sie wieder zu raunzen an. »Jetzt haben sie beim Müller und beim Schatzl schon die Rösser ausgemustert. Wann sie fortkommen, weiß man nicht … Gott sei dank, unsern Schimmel haben sie uns ’lassen.« Sie spülte ab und hielt nicht inne. Die Emma, die sehr interessiert die Zeitungen verfolgte und begeistert von den Heldentaten unserer Truppen war, widersprach gutmütig lächelnd: »Aber Mutter, wir siegen doch, und dann wird Deutschland groß und reich.«
»Wir haben Sach’ genug! Wir brauchen doch nicht mehr!« meinte Mutter ablehnend. »Wie ist’s denn anno 70 gewesen? … Da hat’s auch immer so was geheißen! Ich kann mich noch erinnern – auf einmal haben wir bloß noch einen Eichelkaffee machen können, und das roggene Mehl ist ganz schlecht worden … Und die meisten Männer sind nicht mehr heimkommen, und der, der wo’s überstanden hat, ist angeschossen gewesen oder er hat die Wassersucht gehabt wie der Vater selig …«
Sie konnte nichts Großes und Heldenhaftes an all diesem Kriegführen finden. Und Deutschland? Mein Gott – unsere Mutter kannte immer nur Berg, Leoni, Aufkirchen, Kempfenhausen, Aufhausen, Farchach und Bachhausen oder Wolfratshausen.
Die Moni, die ihre letzten Worte gehört hatte, als sie jetzt hereinkam, bekam sofort um einige Grade ein besorgteres Gesicht und jammerte: »Mein Gott, wenn bloß dem Maxl nichts passiert … Das übersteh’ ich nicht!« Dick hockte sie auf dem Kanapee, ihr quellender Busen floß über die hohe Schnürung ihres Leibes, ihr Gesicht war rot angelaufen, und ihre dummen Augen sahen leicht verunruhigt drein. Sie schnaubte ein paarmal seufzend. Unsere Mutter schwieg und spülte ab.
Ich buk nun jede Nacht mit dem lustigen, flinken Lehrbuben. Tagsüber half ich der Mutter in der Konditorei.
»Ja, weißt du, die Leni wär’ heut noch da«, fing sie einmal während der Arbeit gedämpft zu erzählen an, »der Maxl, ha! Zu euch ist er saugrob gewesen, aber gegen die Moni ist er nicht aufgekommen. Einmal, ganz am Anfang, da hat er sie gehaut, dann ist sie auf und davon und in die Stadt hinein. Sie hat von einem Rechtsanwalt schreiben lassen, und da hat er auf einmal Angst kriegt, der Maxl! Gleich ist er in die Stadt hineingefahren und hat ihr vorgewinselt und gejammert, und, sagt er, sie soll nur wieder heimkommen, er rührt sie ganz gewiß nicht mehr an … Aber besser sind sie absolut nicht aus’kommen, gar nicht auch. Fast jeden Tag haben sie gestritten … So was Stinkfaules wie die Moni find’t man ja nicht leicht. Da hat er was G’scheites gefunden mit der! … Wir sind beim Kramer droben gewesen. Keinen Menschen hat er mehr gehabt, wo er hätt’ reden können, und da hat er öfter der Leni was vorgejammert … Du hast ja die Leni
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