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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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gefallen ist. Aber ich kann nicht anders: Je mehr ich nachdenke, um so grauenhafter sehe ich ein, daß er etwas von dem Element war, das uns alle so unglücklich gemacht hat. Diejenigen, die so sind wie er, haben auch diesen sinnlosen Krieg über uns gebracht. Sie bringen immer Krieg, und in jeder Form! Und sie glauben, es wäre Größe!
    Liebe Mutter, liebe Schwestern, verargt es mir nicht. Ich muß sagen, ich bin fast froh, daß der Maxl tot ist. Laßt Euch alle umarmen von Eurem Oskar.«
    So oft sie mir auch in der Folgezeit schrieben, sie haben diesen Brief nie erwähnt. Meine Mutter, erfuhr ich später, ließ eine stille Messe für mein Seelenheil lesen. –

Es knistert in der Stille
    Vom ersten Tag meines Soldatendaseins an überlegte ich stets nur das eine: Wie kannst du diesem Zwang, dieser Sinnlosigkeit entrinnen? Ich entwickelte in meiner Abwehr eine derart instinktsichere, abgebrühte Energie, daß ich manchmal über mich selbst staunte. Es wurde unmöglich, mich regelrecht militärisch auszubilden. Ich war nicht nur ein schlechter, ich war überhaupt kein Soldat!
    Nämlich, was mir auch zustieß, welchen Befehl ich auch bekam – ich lachte. Ich lachte aus vollem Hals und wurde dafür von den Unteroffizieren und Sergeanten schikaniert und eingesperrt, aber es half nichts – ich lachte.
    Man kann das nachlesen in meinem Buch ›Wir sind Gefangene‹. Ich will mich nicht damit aufhalten. Jedenfalls plärrten eines Tages alle Unteroffiziere: »Er ist nicht normal! Er ist irrsinnig! Er gehört in eine Anstalt!« und der Stallunteroffizier fauchte mich giftig an: »Du Trottel! Du Idiot! Du Mistfink! Beim ersten Transport schicken wir dich an die Front! Das ist die einzig passende Strafe für dich!«
    »A-ber – Strafe?« lächelte ich ganz zivil. »Das ist doch eine Ehre für mich, Herr Unteroffizier!« Der gute Mann ließ mich einfach stehen.
    Als ich ins Feld gekommen war, konnte ich weder exerzieren noch schießen, noch sonst etwas. Schon nach vierzehn Tagen sagte der grämlich-bösartige Major, ich sei ein Irrenhäusler und der Schandfleck der ganzen Armee. Es regnete auch hier wieder Arreststrafen und Schikanen, doch es prallte alles an meiner unverblüffbaren, geradezu knatternden Lustigkeit ab. Nach und nach merkte ich erst, was für eine erstaunliche Waffe mein Gelächter war, und ich wandte sie bei jeder Gelegenheit mit fast schwindelerregender Sicherheit an. Mir war nicht mehr beizukommen. Die Offiziere ließen mich meist unbehelligt, die Kameraden wußten nichts mit mir anzufangen und hielten mich wirklich für schwachsinnig. Sie waren froh, als ich eines Tages an Ruhr erkrankte. Sie brachten mich eiligst in das nächstgelegene provisorische Lazarett zurück. Ich lag dort mitten unter Typhuskranken im schmutzigen Stroh. Auf dem blanken Boden des Zimmers, das wir nicht verlassen durften, standen die Kübel. Es stank entsetzlich, und Schwärme von Fliegen schwirrten unausgesetzt um uns. Eine strenggesichtige Krankenschwester in klösterlicher Tracht kam ab und zu herein, reichte uns einige Tanalbin-Tabletten, brachte heißen Tee und Zwieback oder legte irgendeinem, der röchelnd mit dem Tode rang, ein frommes Bildchen auf die Brust. Ich lachte auch dann noch, wenn so ein unglücklicher Mensch verendete und wenn man seine starre Leiche gleich einem Stück Vieh aus dem verpesteten Zimmer schleifte.
    »Mensch, du bist närrisch!« sagte mein eben eingelieferter Nachbar, der zudem verwundet war. Sein Fuß war dick umwickelt.
    »Närrisch? Nein … Närrisch ist bloß der Krieg«, sagte ich. Er sah mich prüfend an, aber er schien zu verstehen. Hastig flüsterte er mir ins Ohr: »Du bist mein Mann! … Da krepieren wir! Komm, wir hauen ab in die Heimat! … Heute abend kommt hier ein Lazarettzug durch.« Ich nickte, und die Flucht gelang. Nach zirka acht Tagen trat ich wieder in die Schreibstube der Trainkaserne in München und lachte den verblüfften Sergeanten breit an. Ruhrverdächtig sei ich, aber nicht mehr so schlimm, sagte ich. Er erschrak und wich zurück. Er hatte Angst, angesteckt zu werden, und schickte mich zum Arzt. Ich bekam vierzehn Tage Urlaub und verließ heiter die Kaserne.
    Die Stadt war sehr still geworden. Mit gleichgültiggrämlichen Gesichtern gingen die Menschen dahin. Man sah ungewöhnlich viele verwundete Soldaten, die entweder humpelten oder den Arm in der Schlinge trugen. Es war Sommer 1916. Das mit ihm verbündete Italien hatte Deutschland den Krieg erklärt und war

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