Das Leben meiner Mutter (German Edition)
die Grafs fröstelnd und schlotternd da. Nur der Stellmacher hatte einen zerschabten blauen Mantel an. Erst als der Pfarrer am darauffolgenden Sonntag, beim Gebet für die Verstorbenen, auch den Namen Peters nannte, erfuhren die Leute von diesem unkriegerischen Tod.
Ungefähr drei Wochen nach Neujahr gab es in der Pfarrkirche ein ungewohnt feierliches Hochamt. Viele Würdenträger aus dem Berger Schloß waren in goldgeschmückter Gala-Uniform erschienen. Die Orgel brauste noch einmal so voll und laut durch das hohe Kirchenschiff, und der Gesang des Chores schien weit belebter zu klingen. Auch der Pfarrer trug diesmal das schöne, reichbestickte Meßgewand, das er nur an bedeutsamen kirchlichen Feiertagen anzulegen pflegte. Die Leute waren ein wenig verwundert darüber, aber ihre ernsten Gesichter wurden keineswegs anders, als der Geistliche seine Predigt mit den Worten begann: »Gott dem Allmächtigen und Ihrer Majestät, unserem vielgeliebten König, hat es gefallen, ihr gnädigstes Einverständnis dazu zu erteilen, daß die Länder des deutschen Bundes von nun ab ein Kaiserreich genannt werden! Ihre Majestät, König Wilhelm von Preußen, haben die ehrenvolle, allgemein gewünschte Wahl zum Kaiser der Deutschen huldvollst angenommen und geruhen, alle Stämme der deutschen Gaue, die in tapferem Heldenmut die unvergeßlichen Siege im Feindesland errungen haben, vertrauend auf Gott, den Allmächtigen, und mit gnädigstem Dank zu grüßen. Mit Gott für Kaiser und Vaterland!« An dieser Stelle erhoben sich die Würdenträger sehr geräuschvoll in ihren Betstühlen, daß die Bauern, Weiber und Kinder noch verwunderter auf sie schauten und erst nach und nach aufstanden. Als aber jetzt, mitten in der Feierlichkeit, einige Offiziere ihre Säbel zogen und ein Hoch auf den Kaiser und auf unser gemeinsames großes deutsches Vaterland aus sich herausschmetterten und endlich gar das Lied ›Deutschland, Deutschland über alles‹ zu singen begannen, da bekamen alle Leute halb erschrockene, halb ärgerliche Mienen. Sie kannten weder den Text noch die Melodie. Für sie klang alles unkirchlich und und unangebracht weltlich. Sie blieben stumm mit gefalteten Händen stehen, und nur die Offiziere und Würdenträger sangen. Es hörte sich blechern an. Die Worte schlugen an die frosterstarrten Kirchenwände und schienen zu zerklirren.
Das Tedeum am Schluß des Hochamtes, das alle sangen, erfüllte freilich den ganzen Raum, dennoch fehlte ihm die sonstige Feierlichkeit. Die Leute gingen diesmal ungesäumt nach Hause, vielleicht wegen der scharfen Kälte, jedenfalls aber erwarteten sie von diesem Kaiserreich, unter welchem sie sich nichts Genaues vorstellen konnten, nicht viel Gutes. »Und vom Frieden hört kein Mensch was!« sagten viele und brummten: »Ja, ein anderes Geld bringen sie auf, die Preußen! Und überall haben sie das erste Wort!«
Sehr beunruhigt ging der Jani-Hans herum. Für ihn war nunmehr überhaupt alles ungewiß. Bei jeder Gelegenheit jammerte er, was das alles werde, alles sei für den Bauernstand verloren.
Tiefer Schnee lag rundherum. Alles Laute schien zwischen Himmel und Erde weggescheucht zu sein. Die Mägde und Töchter beim Heimrath hatten eben ihre Vespermilch ausgelöffelt, waren aufgestanden und wieder an ihre Arbeit gegangen. Der Much-Girgl zerkaute den letzten Brotbrokken und ging in die Remise hinüber, um einige Sack Getreide zum Müller nach Berg zu fahren. Nur der Jani-Hans hatte es diesmal sonderbarerweise nicht eilig. Unverdächtig langsam zündete er seine ausgegangene Pfeife an und sagte, nachdem sie allein waren, in fast demütig dringendem Tone zur Heimrathin: »Sagen kannst gewiß nicht, daß ich dir einmal schlecht geraten hab’, Bäuerin! Ganz gewiß nicht! … Und um das, was die Kinder mitkriegen, soll vollauf gesorgt sein, hat der Hochwürden Herr Pfarrer ausdrücklich versprochen. Versteh mich recht, Bäuerin, ich will doch bloß das Beste! Ich will doch nicht das mindeste für mich! Gar nichts will ich, aber der Hof, Bäuerin! … Und du, so eine alleinige Wittiberin!« Er schaute bitthaft auf die Heimrathin. Schon wollte er wieder zu reden anfangen. Da aber musterte ihn die Heimrathin fest und sagte klar und scharf wie stets, wenn sie keinen Widerspruch mehr duldete: »Und wenn er’s hundertmal will, der Hochwürden! Es bleibt ganz einfach, wie’s ist! So lang ich leb’, red’ ich, basta! Es wird besser sein, Hans, du gehst auf Maria Lichtmeß. So tut’s nicht mehr gut!«
Weitere Kostenlose Bücher