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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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laßt, das versteht er nicht, sagt der hochwürdige Herr Pfarrer«, schloß der Hans, schwieg etliche Sekunden lang nachdenklich, schüttelte den Kopf und setzte mißtrauisch hinzu: »Grad ist’s, als wenn der Bismarck unser Militär nicht mehr rausgeben will, daß er machen kann, was er will. Und unser König tut nichts dagegen! Mein Gott und Herr Jesus, ich glaub’, er bringt uns alle noch ins Verderben, der lutherische Tropf, der lutherische!« Die Heimrathin, die zwar immer noch dasselbe gleichmütige Gesicht hatte, wunderte sich doch ein wenig, wieso der Hans in der letzten Zeit ein solch auffälliges Interesse für Krieg und Politik zeigte. Sie hob den Kopf und schaute zu ihm hinüber.
    »Jaja«, sagte sie, »so was Ähnliches hat der schwarze Peter auch immer gemeint. Zuletzt, wenn’s schlecht geht, trifft’s uns.«
    »Ah, der Peter! Der weiß ja nie, was er will!« brummte der Jani-Hans wiederum ärgerlich, »der hat nie was gehabt und braucht sich nichts kümmern. Wer nichts hat, dem kann man nichts nehmen. Angst kann einem bloß werden, wenn man an so einen Hof wie Aufhausen denkt. Mit Weibsbildern springt man anders um wie mit einem rechten Bauern.« Das war deutlich. Die Resl schaute auch wieder auf den Hans. Die Heimrathin aber sagte ziemlich unbetroffen: »Wer will da was sagen! Unser Herrgott wird’s schon recht machen. Arbeiten haben wir bis jetzt müssen, arbeiten werden wir auch weiter müssen.« Da wand sich der Jani-Hans aus dem Tisch, murmelte sein »Gelobt sei Jesus Christus« und ging zu Bett. Erst nach einer langen Weile meinte die Heimrathin, den gestopften Strumpf auf die escherne Tischplatte legend und ihn glatt streichend: »Hm, jetzt kümmert ihn auf einmal die ganze Welt, den Hans! Grad’ notwendig hat er’s, wenn er mit’m hochwürdigen Herrn Pfarrer beisammen ist.«
    Keines von den Kinder sagte etwas darauf. Die Resl schnaufte nur ein paarmal hörbarer …
    Der schwarze Peter, der schon lange nicht mehr gekommen war, hätte jetzt allerhand erzählen können, denn die deutschen Heere standen vor Paris, Frankreich war eine Republik geworden, und man munkelte, Deutschland werde ein Kaiserreich, das alte Geld gelte nichts mehr, und bald gäbe es ein neues. Der König sauste wohl einige Male mit seinem Prunkschlitten am Aufhauser Hof vorüber, aber er ließ nicht mehr anhalten, sein Stallmeister holte kein Glas Wasser mehr. Hin und wieder hörten die Leute auch, daß es bald Frieden gebe. Der diesmalige Winter indessen war so hart und so reich an Schneemassen, daß die Kirchgänger nur mit größter Mühe des Sonntags ins Pfarrdorf gelangten. Langsam und ungemein spärlich sickerten die Nachrichten über den Krieg durch. Es schien, als fänden sie den Weg durch die dicken Eis- und Schneedecken nicht, als erfrören sie darin. Um es aber gleich zu sagen, der schwarze Peter hätte auch nicht mehr kommen und erzählen können, denn er war kurz vor Weihnachten verstorben. Mochte man ihm auch noch so oft sagen, wie schlecht es mit den Franzosen stünde, bis zum letzten Atemzug hatte er unerschütterlich das Gegenteil geglaubt. Man hätte füglich meinen können, er habe aus Ärger und Gram über die Untüchtigkeit der »grande armée« und »seine« Franzosen nicht mehr weiterleben mögen. Nichts von Kranksein bemerkten die Stellmachers an ihm. Noch am Abend hockte er in der Stube am Tisch und trommelte mit den Fingern auf die Platte. Düster schaute er ins Leere, begann die Melodie des Liedes von den »zwei Grenadieren« zu summen, schlug nach und nach immer heftiger mit den Fingern auf und sang zuletzt deutlich und laut: ». . . Dann steig’ ich bewaffnet hervor aus dem Grab, den Kaiser, den Kaiser zu schützen!«
    Er brach ab, stand auf und ging wortlos aus der Stube.
    Am andern Morgen kam er nicht mehr aus seiner eiskalten Kammer, und als die Grafs nachschauten, lag er kalt im rotweißkarierten Bett. Starr, aber seltsam glänzend waren seine Augen, und ein leichter Schimmer von stolzer Melancholie lag auf seinen Zügen.
    Recht ärmlich war sein Begräbnis. Nur die Stellmachers standen vollzählig um die aufgeworfene Erdgrube. Mit gleichgültiger Geübtheit, dennoch aber fast ärgerlich geschwind, verrichtete der Geistliche die allernötigsten Zeremonien und ging wieder rasch in die Kirche zurück. Grimmig kalt pfiff der Schneewind durch die Reihen der verwehten Grabsteine. In ihren abgewetzten Joppen und vielgeflickten Hosen, mit hochgezogenen Schultern und tropfenden Nasen standen

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