Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Das war alles. Der Hans hatte ein tief benommenes Gesicht bekommen und wußte nicht mehr, wo er hinschauen sollte. Verdattert stand er auf und brümmelte: »Zwingen kann man nichts! In Gottes Namen! Ist mir auch recht.« Er tappte durch die hintere Türe und ging in den Stall hinüber.
Erst etliche Tage vor Maria Lichtmeß erfuhren alle im Haus, daß der Jani-Hans seine Baumeisterstelle verlasse. Die Resl, die Liesl und der Much-Girgl freuten sich insgeheim darüber, aber sie verrieten es niemals selber. Als es am Maria-Lichtmeß-Tag wirklich ernst wurde, war man aber doch allseits ein bißchen traurig. Ein gewohnter Mensch ging vom Hof, der nie etwas Schlechtes getan und gewollt hatte, und es war nicht die beste Zeit. Weiß Gott, was nach ihm für einer kam. Nicht umsonst hieß es: »Es kommt nie etwas Besseres nach.« Die Genovev, die in frommen Dingen stets mit dem Hans übereingestimmt hatte, weinte, und auch die Kathrein bekam nasse Augen, als dieser jedem die Hand drückte und unter vielen gottseligen Redensarten der Bäuerin Glück für alle weitere Zeit wünschte.
»Jaja! Vergelt’s Gott! Auch ich wünsch’ dir das Beste, Hans«, dankte die Heimrathin, und es huschte sogar ein freundlicher Schimmer über ihr hartes, ernstes Gesicht, als sie geschwind durchs Fenster schaute. Fast nachtdunkel war es in der Kuchl, so dickflockig fiel draußen der Schnee. »Jetzt geh nur, sonst kommt der Girgl nicht mehr durch«, sagte die Bäuerin leichter.
Draußen im Hof, auf dem niederen Schlitten, hockte der Much-Girgl und hielt die Zügel der unruhigen Pferde straffgespannt in den Händen. Um und um war er schon eingeschneit wie ein Schneemann. Der große, hölzerne, braun angestrichene Koffer vom Jani-Hans lag hinter ihm. »Brr! – Sst, Herrgottnochmal! Brr!« knurrte er ein um das andere Mal die Pferde an und riß noch fester an den Zügeln. Endlich kam der Hans aus der Kuchl-Tür und ging schnell auf den Schlitten zu.
»Jetzt ist’s aber Zeit! Es schneit uns ja faktisch ein!« brummte ihn der Girgl an, als er sich auf den Platz neben ihn schwang. Im Rahmen der offen gelassenen Tür, eng aneinandergedrückt, standen die Heimrath-Töchter und schauten zu, wie der Schlitten sich lautlos hinweghob. Nur die Resl war nicht dabei. Die Pferde griffen scharf aus. Schon nach wenigen Minuten verschwand das Gefährt im dicht fallenden Schnee.
»Hallo, hallo! Weiter an die Arbeit! Die Tür zu!« kommandierte die Heimrathin, und ihre Töchter folgten.
»Wer wird denn jetzt Baumeister?« fragte die Genovev noch immer trübselig. – »Jetzt? … Vorläufig überhaupt keiner!« erwiderte die Bäuerin ungut und verschlossen. »Wir müssen’s jetzt schon allein zwingen. Es wird auch gehn!« – »Seine Arbeit weiß ja jeder«, meinte die Resl ein wenig altklug, aber es klang gut.
Freilich munkelten die Mägde, wenn die Bäuerin und ihre Töchter außer Hörweite waren, weswegen der Jani-Hans den Hof habe verlassen müssen. Sie dichteten auch einiges dazu. Der Much-Girgl machte öfters die zweideutige Bemerkung, daß der Hans im Grunde genommen kein unrechter Mensch, aber ein armer, dummer Tropf gewesen sei, der durch seine geplante Josephs-Ehe nur dem Pfarrer und der Kirche ein saftiges Trumm Hof einbringen hätte sollen. Und er rühmte dabei die couragierte Heimrathin, die alles so schnell durchschaut und nicht zugelassen hatte. Nie versäumte er, sich bei solchen Gelegenheiten ins rechte Licht zu setzen. In den ersten Wochen erwies er sich als recht verläßlich und überraschte durch eine Tüchtigkeit, die man bis jetzt nie bei ihm bemerkt hatte. Er fand auch für jeden den passenden Ton. Nach und nach aber, als er schließlich merkte, daß sich die Bäuerin nicht dazu bestimmen ließ, ihn an die Stelle von Jani-Hans zu setzen, ließ sein Eifer beträchtlich nach. Die Heimrathin fand viel an ihm auszusetzen und fuhr ihn oft grob an. Er begehrte nicht auf dagegen. Er war schlau genug zu begreifen, daß es für ihn als alten, verarmten Torfstecher in solchen Zeiten am besten war, sich auf dem Aufhauser Hof zu halten. Seit langer Zeit war er Witwer und stand schon nahe an den Sechzigern. Seine zwei Söhne waren gleich am Anfang des Krieges gefallen. Sie hatten ihn nie gemocht und ihn hungern und frieren lassen im kleinen Austragsstübchen des baufälligen Häuschens im Vilz drüben. Er mußte als Taglöhner sein bißchen Brot verdienen, und als – um mit seinen Worten zu reden – »die zwei Schindluder« gefallen
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