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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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das Prozessieren bleiben!« Sie stand auf und ging in den Garten, um frische Gurken zu holen. Während sie durch die offene Tür ging, sagte sie: »Bis dem Maxl seine Buben groß sind, wird’s wieder ganz anders sein … Wir alten Leut’ erleben nichts Gescheites mehr!«
    »Siehst du, so ist das Volk, von dem du immer soviel schreibst und sprichst … Da hast du’s jetzt einmal gesehen … So Leut’ wie unsere Mutter, die machen eigentlich den Staat, und die läßt man eingehn wie das Vieh!« raunzte der Maurus. Die Theres kam von oben herunter, goß sich Kaffee ein und setzte sich an den Tisch. Die kleine Annamarie saß auf der Bank und spielte mit den bunten Flugzetteln. Einige Sekunden schwiegen wir alle. Mutter kam wieder herein und, offenbar, weil ihr diese Bedrücktheit nicht gefiel, weil sie sich endlich wieder ein bißchen freuen wollte, daß ich da war, sagte sie: »Wir haben doch noch Dollar, Maurus! … Und der Eugen will doch wieder was schicken. Er hat’s doch geschrieben!«
    »Jaja!« meinte der Maurus, »jaja … Herrgott, Mutter, wenn ich doch bloß auch einmal so sein könnt’ wie du! Dir kann nichts an!« Er stand auf und ging in die nebenanliegende Backstube.
    »Was hat er denn auf einmal?« fragte mich Mutter.
    »Nichts, gar nichts … Er hat ja recht, Mutter! Er macht sich halt Sorgen, wie alles weitergehen soll«, suchte ich sie zu beruhigen.
    »Da braucht er sich doch nicht so kümmern … Wir haben doch noch haufenweise Fleisch von der Sau, und im Garten steht’s auch alles recht schön … Wir sind doch nicht verloren«, sagte sie und begann die Gurken zu schälen. Theres nahm so einen bunten Flugzettel, musterte ihn genau und lächelte: »Das ist aber originell! … Darauf fällt im ersten Moment jeder rein.«
    Wie verwässerte bläuliche Milch rann der erste Dämmer durch das hohe Fenster meines Ateliers, das ich seit dem Weggang von meiner Frau bewohnte. Der hohe, primitiv eingerichtete Raum, den ich zum größten Teil selber möbliert hatte, lag im ersten Stock eines versteckten, alten Hinterhauses. Im schmalen Hof befanden sich einige Grabstein-und Gipsformatoren-Werkstätten. Jeden Morgen weckten mich die Stimmen der Arbeiter, ihr Hämmern und Werkeln. Doch ich schlief meist bald wieder ein, denn ich arbeitete nachts und pflegte erst gegen Mittag aufzustehen.
    Im zweiten Stock, in einem winzigen Zimmer schlief meine nunmehrige Frau, mit der ich seit langem zusammenlebte. Wir waren glücklich und überstanden dadurch schlecht und recht die drangvollen Zeiten. Sie war in einem Fabrikbüro Auslandskorrespondentin und verdiente gerade soviel, daß wir leben konnten. Die schmalen Honorare, die ich von meinen ersten Büchern und Zeitschriftenbeiträgen bekam, fielen kaum ins Gewicht.
    Diesmal redeten die Arbeiter im Hof heftig ineinander. Immer lauter wurden sie, und kein Hämmern setzte ein. Ich erwachte völlig und lauschte.
    »Ganz recht! … Alle sollten sie niedergeschossen haben!« schimpfte einer wütend. »Muß denn ewig der Wirbel sein, daß es immer noch schlechter wird? Die sollen doch arbeiten, die Hammel, die plärrmäuligen! Da vergeht ihnen gleich der ganze Unsinn!«
    »Nie-der-ge-schossen …?« brümmelte ich und lauschte gespannter.
    »Und jetzt ist’s aus mit ihrer ganzen Herrlichkeit!« hörte ich die höhnische Stimme eines anderen Arbeiters. »Ein paar haben sie erschossen, dann ist die ganze Heldenschaft auseinandergelaufen. Den Ludendorff sollen sie verhaftet haben, den damischen Saupreußen, und der Hitler ist auf und davon! Ein sauberer Führer, das! Zuerst macht er Sprüch’ und dann ist er der erste, der sich wegmacht!«
    Ich sprang aus dem Bett. Kalt war es im Atelier. Es war der Revolutionstag, der neunte November. Mich fror, aber mein Herz schlug erregt.
    »In der Stadt drinnen sind überall Drahtverhaue und Maschinengewehre. Die berittene Polizei hat den Odeonsplatz abgeriegelt. Militärpatrouillen gehn überall rum«, vernahm ich abermals.
    »Jeder Hanswurst will heut Revolution machen!« schrie der höhnische Arbeiter wieder. »Wir haben’s ja gesehn, wie’s das erste Mal gewesen ist!«
    Was war geschehen? Wilde Mutmaßungen durchzogen mein Hirn. Ich wusch mich rasch, zog mich an und wollte fort. Da klopfte es aufgeregt trommelnd an meine Türe. »Polizei!« dachte ich blitzschnell und zögerte atemlos. Das Trommeln wurde zum Hämmern. »Mensch! Oskar, mach doch auf! Schnell! Mensch!!« schrie eine bekannte Stimme keuchend, und als ich

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