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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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brachten die ganze Nacht hindurch auf Lastautos ihre Waffen aus der Stadt und vergruben sie in den umliegenden Wäldern oder versteckten sie bei sympathisierenden Bauern und Villenbesitzern. Niemand verfolgte sie, niemand verhinderte sie. Jeder, der etwas von ihrer nächtlichen Arbeit verraten wollte, wurde von ihren Fememördern umgebracht, und nie fand die Polizei den Übeltäter.
    Der Belagerungszustand wurde über München verhängt. Auf Straßen und Plätzen rotteten sich zuweilen noch Menschen zusammen, doch die Polizei konnte sie mühelos zerstreuen. Hitler, der sich seit seiner Flucht in der Villa der Familie Hanfstaengl im Gebirge versteckt hatte, wurde nach einer Woche verhaftet. In Berlin übergab der Reichspräsident Ebert dem Chef der Heeresleitung, General Seeckt, die ausschließliche, diktatorische Gewalt über ganz Deutschland. Der löste die Hitlerpartei und ihre Nebenverbände auf. Weit schärfer aber ging er gegen die unzufriedenen sozialistischen und inzwischen wieder erstarkten kommunistischen Arbeiterorganisationen vor. Für die vielen Fälle von Hochund Landesverrat wurde in Leipzig ein eigenes, höchstes »Reichsgericht« geschaffen. Bei den Verhandlungen wirkte stets ein hoher Reichswehroffizier mit. Rote Funktionäre, Journalisten und Schriftsteller wurden dort abgeurteilt und jahrelang in die Gefängnisse und Zuchthäuser geschickt. Die Urteile waren unwiderruflich. Auf Betreiben einflußreicher nationaler Kreise aber, die sich bis in die höchsten Ämter erstreckten, stellte Bayern für Hitler und seine mitverhafteten Anhänger ein »Volksgericht« zusammen.
    »Zum Kotzen! Wir sind wieder soweit – die Generale regieren wie eh und je!« sagte mein Freund Georg.
    »Aber was fällt dir ein! Du kennst eben unsere Verfassung nicht!« spöttelte ich sarkastisch. »Die Staatsgewalt geht vom Volke aus!«
    Eine fast krankhafte Unruhe zog durchs ganze Land. Nicht weit von Berlin, in der Festung Küstrin, versuchten geheime Naziverbände, die mit Wissen der Generale in der Reichswehr untergebracht worden waren, einen Putsch zum Sturz der Regierung. Dieselben Generale, die sie gedungen hatten, schlugen aus Angst vor ihrer eigenen Kompromittierung die Revolte nieder. Unvermindert wüteten die Fememorde. In Bayern begannen offene monarchistische Umtriebe, die französischerseits gefördert wurden. Im besetzten Rheinland sagten sich die von Frankreich begünstigten Separatisten vom Reich los, versuchten eigene Republiken zu gründen und terrorisierten die Bevölkerung. Das gab den nazistischen Abwehrgruppen neuen Auftrieb. In seinem Prozeß vor dem Volksgericht in München verteidigte Hitler, sekundiert von Ludendorff und den anderen Angeklagten, den Bräuhausputsch als »nationale Tat«. Seitenlang berichteten die Zeitungen darüber, und die scheinbar niedergerungene Nazibewegung wurde jetzt erst bekannt und populär in den Bürgerkreisen. Dunkle in- und ausländische Geldquellen der arbeiterfeindlichen Industrie erschlossen sich ihr. Ludendorffs Glorie verblaßte. Hitler trat eine milde, eineinhalbjährige Festungshaft in Landsberg am Lech an und schrieb dort sein Buch ›Mein Kampf‹.
    Und die Flut der Verwirrung schien alles mit sich zu reißen. Unter der Losung »Nationale Einheitsfront zur Befreiung Deutschlands! Nieder mit dem Versailler Vertrag!« versuchten jetzt auf einmal die Kommunisten die verärgerten Nazimassen zu gewinnen. Der aus Moskau herbeigeeilte Delegat Karl Radek predigte in großen Massenversammlungen den offenen Kampf gegen die ungerechtfertigte Rheinlandbesetzung und stellte den von der französischen Besatzungsbehörde erschossenen deutschen Nazisaboteur Schlageter als Helden hin. Ein Kopfschütteln ging durch die Arbeiterscharen, die an der internationalen Tradition des Sozialismus hingen.
    In all diesem uferlosen Bankrott übernahm Gustav Stresemann das Reichskanzleramt. Die Regierungen der Siegermächte hörten allmählich seine Stimme und ließen sich endlich auf friedfertige Verhandlungen ein. Die deutsche Währung wurde stabilisiert. Die Mark war wieder eine Mark, und der Dollar notierte wie in guten Zeiten 4,20 Mark. Amerikanische Riesenanleihen flossen ins Land, und die Wirtschaft belebte sich wieder. Als Stresemann nach einigen Monaten sein Amt dem Katholiken Marx übergab und die Leitung der deutschen Außenpolitik übernahm, wuchs mehr und mehr das Vertrauen des Auslandes. Die Jahre der großen internationalen Verhandlungen begannen. Die bis zur tödlichen

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