Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Prinzregenten das schöne Fischerhaus geschenkt bekommen, und er bestritt es nie. Ach ja, der gute, alte Fischer Liedl! Im Krieg stand er oft in der nebeligen Frühe auf dem Dampfschiffsteg und spähte mit einem teuren Feldstecher die dicht verschleierte Seefläche ab. Einmal fragten ihn welche, und er antwortete gewichtig: »Es solln Unterseeboot’ rumschwimmen …« Jeder lachte, aber der Liedl forschte noch lange unbeirrbar.
Wie verändert sah denn auf einmal das alte Haus aus! Der Laden war ziemlich weit auf die Seite der Vorderfront verlegt und verkleinert. Auf dem alten Platz war alles frisch gemauert und gestrichen. Über einer weit aufstehenden Tür prangte eine verschnörkelte Inschrift: »Künstler-Wein-Diele, Café und Teesalon von Mary Hofmann«. Ich dachte nach. Nein, einen solchen Namen gab es in der ganzen Gegend nicht.
Das ehemalige Weinzierl-Gasthaus, in welchem seinerzeit die geschäftige Frau Selzle manchem Mann den Kopf verdreht hatte, gehörte nunmehr dem derben Bauernwirt Matthias Bichler. Elendiglich war der Weinzierl an einem Magenkrebs gestorben. Darauf verschwand die Frau Selzle. Die Familie Weinzierl verkaufte Gasthaus und Brauerei und zog ebenfalls fort. Das Brauhaus wurde aufgelassen und diente jetzt als Mietshaus. Kurz vor dem Krieg hatte man das baufällige Baderhaus niedergerissen. Lange noch lag der riesige Schutthaufen da, und die Kinder spielten darauf. Nun hatte ein Handelsgärtner das Grundstück erworben. Sein kleines, sauberes Häuschen zierte den Platz. Der alte, große Obstgarten, den der »Rote Kaspar« so oft geplündert hatte, war geblieben. Viele Gemüse-, Blumenbeete und Glashäuser waren dazugekommen.
»Du mit deiner Politik! Geh bloß zu!« sagte der Maurus nach dem kurzen Gruß ärgerlich im kleinen Laden. »Diese Burschen, die uns jetzt regieren, haben doch keinen Dunst, wie sie alles ruinieren! Den ehrlichen kleinen Mann lassen sie zugrund’ gehn, und das Gesindel kommt obenauf! Alle sollt’ man aufhängen und davonjagen!« Er war äußerst mißlaunisch und, als ich nach dem Grund forschte, räsonierte er weiter: »Hast du’s nicht gesehn, was der Pius und die Moni gemacht haben? … Sie haben die Bäckerei verpachtet, und irgendso ein hergelaufenes Weibsbild hat bei ihnen eine Animierbude eingerichtet! Sie legen sich auf die faule Haut und haben nichts anderes im Kopf, als mich und die Mutter zu Tod’ zu ärgern!« Ich verstand nicht recht, was das mit Politik zu tun haben sollte.
»Jaja, so bist du! So seid ihr alle in der Stadt drinnen!« rief der Maurus und schimpfte weiter: »Ihr seht ja die kleinen Leute nie … Die Politik, das ist für euch ganz was Abstraktes! Drum kommen wir nicht aus dem Dreck! … Du mußt dir nämlich denken, dieses Frauenzimmer, die Frau Hofmann – du hast ja alles drunten gesehen, wie du vorbeigegangen bist –, diese Frau Hofmann ist aus dem Rheinland … Kommt sie da eines schönen Tages daher und läßt sich bedauern als Ruhrflüchtling, verstehst du? … Ihr Mann kriegt natürlich sofort in München eine Bürostellung. Sie macht sich an die Moni heran und redet ihr den Kopf voll von Künstlerkneipe und so weiter, und die ist natürlich sofort Feuer und Flamme … So – und das Schönste ist, diese Frau Hofmann kriegt natürlich im Handumdrehen von Amts wegen die Konzession zu einem Wirtschafts- und Kaffeehausbetrieb, und ich, ich kann mir die Hacken ablaufen, kann Eingaben machen, soviel ich will, wenn’s auch der Schatzl-Pauli als Bürgermeister jedesmal befürwortet, mir gibt man einfach die Konzession nicht! Wir sind seit Jahrhunderten in Berg – nein, Fremde werden bevorzugt, und noch dazu, was für Fremde! … Ist das vielleicht eine Regierung? Das ist ein ganz gemeines, ganz bestechliches Schwindlerpack, weiter nichts!«
Unsere Mutter tauchte im Türrahmen auf. Ich war noch nicht einmal aus dem Laden in die Kuchl gekommen.
»Ja, der Oskar!« grüßte sie. »Was habt ihr denn? Was streit’ts denn?«
»Ah, wir streiten doch gar nicht!« wandte sich der Maurus an sie. »Ich hab’ ihm bloß von dieser sauberen Frau Hofmann erzählt und von Moni und Pius, wie sie uns Tag und Nacht ärgern! … Entweder ist unsere Regierung strohdumm oder einfach gemein …«
»Die Herren Regierungsräte, die Bezirksamtsmänner bis hinab zum schäbigsten Landgendarm, die schikanieren uns!«
Das begriff auch unsere Mutter.
»Ja, ja, da hat er einmal gewiß recht, der Oskar! … Beim Gendarm geht’s schon an!«
Weitere Kostenlose Bücher