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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Hermann Müller war Reichskanzler, und es hieß, er verstehe sich mit dem kaisertreuen Präsidenten Hindenburg ausgezeichnet.
    Ja, die Zeit war gut. Leute wie der Maurus konnten ohne Ängstlichkeit für ihre Zukunft planen. Und trotz allem verhaltenen Weh, das innerlich an ihr nagte, seitdem Maurus’ und Theres’ Feindschaft sich gänzlich versteift hatte, wußte auch meine Mutter aus manchem dieser Tage ihre kleinen Freuden herauszuholen. Es gab keinen Mangel mehr. Alles gab es wieder wie früher: Butter und Eier, gutes Fleisch und Würste, weiße, knusprige Semmeln und Bier. Beim Kochen brauchte sie nicht mehr zu sparen.
    »Herrgott, Oskar, weilst nur du wieder da bist … Das tut mir ganz wohl«, sagte sie jedesmal, wenn ich zu ihr kam. »Jetzt setz dich nur hin, ich hab’ schon was …« Und dann stellte sie die frisch gestockte Schweinssülze hin, von der sie wußte, wie sie mir schmeckte.
    »Da iß jetzt … Und wenn’s nicht langt, ich hab’ schon noch eine«, redete sie mir zu, und ich fing mit vollem Behagen zu essen an, mit solchem Behagen, daß auch sie davon erfaßt wurde. Da stand sie, die Arme in die Hüften gestemmt, betrachtete mich wahrhaft wohlgefällig und sagte wiederum: »Herrgott, Bub, grad gut zuzuschauen ist dir, wie du essen kannst … Gleich selber Appetit kriegt man dabei.« Starke Esser liebte sie.
    »Ja, so iß doch, iß doch, Mutter!« drang ich in sie, aber nein, sie sah mich nur an. »Zeckenfett wirst du jetzt, hmhm … Dein Geschäft muß doch ganz gut sein. Wieviel wiegst du jetzt?«
    »Zweieinhalb Zentner«, antwortete ich und nagte einen saftigen Schweinsknöchel ab.
    »So … Hmhm«, machte sie. Daß man mit Bücherschreiben, mit einer Arbeit, die keine schwieligen Hände machte, Geld verdiente, ging ihr nicht in den Kopf.
    »Soso, und da brauchst du bloß den ganzen Tag hinhokken und so was zusammenschreiben? Schwitzen mußt du nie dabei, was? … Jaja, da glaub’ ich freilich, daß du gern Bücher schreibst«, redete sie zufrieden weiter. Mir ging es gut – das tat ihr wohl.
    »Du hast was von dem alten Kastenjakl«, meinte sie. »Der hat auch lauter so sonderbar’s Zeug im Kopf gehabt und hie und da was hingeschrieben.« Sie stellte den anderen Teller her: »Herrgott, magst du essen, hmhm …« Ihr faltiges Gesicht bekam den schönsten Glanz, und endlich brachte ich sie doch dazu, wenigstens mitzuhalten. Bedächtig kaute sie. »Die ist grad recht geworden … Hübsch Fleisch is’ an die Knöcheln …«
    Eine Weile belebte nur unser Schmatzen den stillen, fliegendurchsummten Raum ihrer jetzigen Kuchl.
    »Vor vier oder fünf Wochen hat der Eugen einmal geschrieben, daß er kommen will, aber ich glaub’s nicht«, sagte sie endlich wieder und nahm die leeren Teller vom wachstuchüberzogenen Tisch. »Soso … Hm, der sieht mich nicht«, meinte ich. Sekundenlang furchte sich ihre Stirn.
    »Der kommt ja doch nicht«, tröstete sie sich.
    Aber der Eugen kam wirklich, und dieses Kommen verursachte von Anfang an beträchtliche Unruhe. Nichts erfüllt so sehr mit Bangigkeit als plötzliche Telegramme. Sie brachten meist nur die Nachricht von der schweren Erkrankung eines nahen Verwandten oder gar von einem Tod.
    Unsere Mutter stand im Garten und holte Suppengrün.
    »Bäckermutter! Ein Telegramm!« rief die hagere Posthalterin und reichte ihr das Blatt über den Zaun.
    »Jesus, was ist denn jetzt das wieder!« fuhr Mutter auf, wurde jäh blaß und ging eilsam zum Maurus in die Backstube. »Da, ein Telegramm! … Was ist denn passiert?« Der Maurus las laut: »Fahren eben mit Car von Bozeman ab. Sind Anfang August bei Euch – Eugen, Peppi.«
    Mit offenem Mund stand Mutter da. Das Wort hatte es ihr verschlagen.
    »Tja, hm – deswegen braucht er einen doch nicht so erschrecken! Zu was denn telegraphieren!« sagte sie endlich aufatmend. Die Annamarie rannte aus der Backstube nach oben: »Tante Theres! Der Onkel Eugen kommt!« Die Mutter brachte schon das Telegramm.
    »Na, wenn der kommt, wird sich ja verschiedenes klären«, sagte Theres vieldeutig. Aber die Mutter hörte es schon nicht mehr. Eine hitzige Unrast hatte sie befallen. Schnell stellte sie die Suppe auf und ging sogleich in die nebenanliegende, helle, vierfenstrige »Gute Kammer«.
    »Hmhm, jetzt kommt der auf einmal so schnell daher!« brümmelte sie und glaubte wahrscheinlich, Eugen komme morgen oder übermorgen schon. Sie überdachte alles Notwendige. Nach dem Mittagessen besorgte sie Kalk, Farbe und

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