Das Leben meiner Mutter (German Edition)
dastand: »Mutter, komm! Zieh dich an! Wir fahren nach Rom.«
Nach Rom? Da wurde sogar der Maurus baff.
»Wa-was? Was? … Nach Rom?« fuhr unsere Mutter fast erschreckt auf und schaute den Eugen entgeistert an, »nach Rom??«
»Ja! Jaja! Komm doch! Zieh dich an, pack dir ein paar Sachen ein! Wir fahren gleich weg … Peppi ist schon im Wagen«, drängte der Eugen. Unsere Mutter zweifelte an seinem Verstand. Außer ins Pfarrdorf Aufkirchen war sie fast dreißig Jahre nicht mehr in die nächstliegenden Dörfer gekommen, ein- oder höchstens zweimal im Jahr fuhr sie aus einem wichtigen Anlaß nach München, und das kam ihr schon jedesmal wie eine Weltreise vor! Und jetzt? Jetzt – nach Rom?
Rom? Das war doch unvorstellbar weit weg! Das war doch unmöglich! Da fuhren – wie sie vage aus dem Kirchenanzeiger wußte – doch nur in den heiligen Zeiten einmal Bischöfe hin!
Sie starrte noch immer auf den Eugen und murmelte kopfschüttelnd: »Geh! Ich und nach Rom?! … Das geht doch nicht! Was tut denn so ein altes Weib in Rom? … Geh, was dir nicht alles einfällt!«
Kurzum, erst nachdem Eugen, seine Frau, die Theres und der Maurus sie lange beredet hatten, erst nachdem sie vom Heiligen Vater erzählten, den sie sehen würde, gab sie zögernd nach.
»Ja! Ja! … Jetzt! Ja … ja! Da weiß ich ja nimmer –«, stotterte sie verwirrt und geärgert, »und wie lang fahren wir denn da?«
»Wie lang? … Wir machen’s uns ganz gemütlich … Hab doch keine Angst, in Amerika sind solche Strecken nichts Besonderes!« versuchte sie der Eugen zu beruhigen. Sie stand schließlich da in ihrem schwarzen, einfachen Gewand und Mantel und schaute todunglücklich drein. Nicht gar vertrauensvoll stieg sie zur Peppi ins Auto: »Tja, ja, hast jetzt schon sowas g’sehn! Nach Rom? Was euch alles einfällt! Hmhm!« Maurus, Theres und die Annamarie mit dem kleinen Cecil standen auf der Straße und grüßten winkend, als das Auto wegfuhr. Unbehaglich hockte Mutter im weichen Sitz, hatte den Kopf umgedreht und lugte in einem fort wehmütig durch das kleine Hinterfenster auf das verschwindende Dorf. Ihre Hände waren gefaltet. Es war ihr schwer ums Herz. Mit fast schwebender Leichtigkeit surrte das Auto den Aufkirchner Berg hinauf. Da stand die uralte Pfarrkirche. Ihre Wettermauer war ziemlich abgebröckelt.
»Jaja, zwanzig Jahr’ ist’s jetzt her, daß sie die Kirch’ nimmer renoviert haben … Notwendig braucht sie ’s Richten!« murmelte unsere Mutter und sah ihre Kirche an. Aber das Auto lief und lief. Es trug alles weg. In der Talmulde an der Straße stand der große, breit auseinanderlaufende Heimrathhof von Aufhausen. Da war sie zur Welt gekommen, da hatte sie ihre schwere und doch so heitere Jugend erlebt, da hatte sie herausgeheiratet.
»Da schau! Hmhm! Die Stallwand hat immer noch den Schwamm«, sagte sie und blickte durch das Autofenster, »und den Misthaufen haben sie jetzt hinten. Zu meiner Zeit ist er noch über der Straß’ gewesen … Die neue Bäuerin will alles modern …« Unablässig schaute und schaute sie um, bis das Auto im dichten Fichtenwald weiterfuhr. Dann kam der trostlose Vilz mit seinen armen, im Moorgrund eingesunkenen Häusern. Alte Erinnerungen stiegen in ihr auf. Durch Wolfratshausen brauste das Auto, und langsam rückte das Gebirge näher und näher. Geruhige Ortschaften flogen vorüber, behäbige Marktplätze weiteten sich, Wälder und Felder wechselten, und auf einmal ragten ringsum die Berge ins Blau.
»Da schau, Mutter! Schau doch! Das ist ja großartig! Wunderschön! … Die Berge!« riefen Eugen und Peppi zugleich und wurden begeistert. Indessen sie, die im Flachland aufgewachsen war und die weite Sicht schätzte, sagte nur: »Hmhm, so was, ha! … Wo du hinschaugst, Berg’, hmhm!« Die steilragenden Wände schienen sie eher zu bedrücken. Eugen und Peppi schwiegen. –
Es kamen steile Bergstraßen, und sie zitterte angstvoll. Sie sah nichts, gar nichts.
»Paß fein auf, Eugen! Paß auf!« warnte sie immer wieder. In Innsbruck übernachteten sie, aber sie schlief nicht. Schon um vier Uhr früh stand sie im fremden Hotelzimmer und dachte sicher nur eins: »Wenn’s nur schon vorbei wär’!« Kopfweh hatte sie und übernächtig war sie.
»Wie weit ist’s denn noch?« erkundigte sie sich in einem fort. Was konnte ihr die Herrlichkeit der Landschaft geben? Was die plötzlich aufgerollte Ebene Italiens? Heimzu dachte sie. Hier war die Fremde. Ihren Rosenkranz hatte sie
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