Das Leben meiner Mutter (German Edition)
einen Maurerpinsel und fing an, die Wände zu tünchen. Endlich fertig damit, putzte sie den an manchen Stellen nachgebenden Kammerboden heraus und legte ihren schönsten selbstgewirkten Bauernteppich hin. Sie suchte die besten Federbetten aus, überzog sie mit dem blühweißen Linnen und machte hübsche Vorhänge an die blitzblanken Fenster. Die Annamarie war beständig hinter ihr her und fragte und fragte, ob ihr der Onkel Eugen auch was Schönes mitbringe, ob er auch so dick sei wie ich, ihr Vater, und weiß Gott was noch alles.
»Jaja, jaja, er bringt dir schon was«, antwortete Mutter nebenhin. »Auf der letzten Photographie sieht er hübsch dick aus …«
Endlich, als die Kammer frisch, neu und freundlich aussah, blieb Mutter an der offenen Tür stehen, betrachtete noch einmal alles prüfend und meinte, sich den Schweiß aus dem Gesicht wischend: »So, jetzt kann er kommen, der Eugen … Da sind sie nobel untergebracht.« Sie tauchte ihre zerschundenen Finger in das Weihwasserfäßchen, das an der Wand hing, und besprenkelte den Raum.
Die Aufregungen hörten nicht auf. Jeden zweiten oder dritten Tag kam ein Telegramm von Eugen. Meistens stand nichts weiter darinnen als etwa: »Sind in Chicago bei Anna. Stadt sehr schmutzig.« Oder: »New York großartig. Morgen Abfahrt.« Alles nützt sich schließlich ab. So war’s auch mit den Telegrammen, die daherflogen. Zuletzt öffnete der Maurus keines mehr und steckte es einfach hinter den Spiegel.
»So was kost’t doch einen Haufen Geld!« sagte Mutter. Die neugerichtete »Gute Kammer« hatte sie abgesperrt, aber jeden Abend, bevor sie zu Bett ging, schaute sie noch einmal hinein.
Vom Eugen hörte man auf einmal nichts mehr. Die Mutter arbeitete wieder wie immer. Jeder Tag war hell und heiß. Die Leute werkelten auf den Feldern. Volle Heufuhren ächzten auf der Dorfstraße.
Die Mutter jätete im Pflanzgarten Unkraut aus den Beeten. Ein Automobil fuhr über den kleinen Berg herauf und hielt vor dem Haus. Ein beleibter Mann in sportlichem Reiseanzug stieg aus und kam in den Garten. Fremde Leute waren unserer Mutter immer irgendwie verdächtig. Entweder kamen sie vom Steueramt oder wollten sonst etwas Geschäftliches vom Maurus oder der Theres.
»Grüß Gott«, sagte der dicke Mann stehenbleibend. Mutter hielt nicht in der Arbeit inne, grüßte und sagte nicht gerade freundlich: »Der Maurus ist im Laden vorn! Gehn S’ nur vor zu ihm.«
»Grüß Gott!« wiederholte der fremde Mensch wiederum und wich nicht von der Stelle. Mutter hob das Gesicht und wunderte sich, weil der Grüßende so vertraulich lächelte. Da endlich sagte der: »Ja, grüß Gott, Mutter! … Kennst du mich denn nimmer?« Mit einem raschen Ruck richtete sie sich auf und wußte vor Staunen und freudiger Verwirrung nicht gleich, was sie tun sollte.
»Ja! Jajaja, jetzt so was … Jaja, Eugen! Bist jetzt endlich da? Jajaja, geh nur gleich rein … Gleich werd’ ich einen Kaffee machen!« sprudelte sie aufgefrischt heraus, lächelte, wischte sich schnell die kotigen Hände am Schurz ab und trat aus dem Gartenbeet. »Ja, jetzt dich hätt’ ich nimmer kennt! … Jaja, jetzt bist du da! … Wo hast denn deine Frau? … Geh nur weiter, der Maurus ist schon –« Sie brach ab, denn Theres, Annamarie, Maurus, der Lenz und Mimi, die Helferin, waren aus dem Haus gekommen und grüßten laut und lustig. Die Mutter musterte den Eugen währenddessen von der Seite und sagte heiter: »Hm, mager bist du nicht, aber der Oskar ist viel fetter wie du! Der wiegt jetzt schon gut seine zwei Zentner.« Eugen, der nichts von mir wissen wollte, ging schnell darüber hinweg und fragte: »Ja, habt ihr denn mein letztes Telegramm nicht bekommen?«
»Ja, schon«, antwortete der Maurus, und die Mutter fügte dazu: »Du hast ja jeden Augenblick telegraphiert. Zuerst hat uns das immer erschreckt, aber die letzten haben wir gar nicht mehr ang’schaut.« Das irritierte den Eugen, aber sie zogen ihn schon in die enge Kuchl vom Maurus. Der holte die ungeöffneten Telegramme hinter dem Spiegel hervor und fand das letzte, das also lautete: »Ankomme Dienstag nachmittag, Verwandte verständigen – Eugen, Peppi.« Eine Sekunde lang schauten Maurus und Theres auf den etwas betroffenen Eugen, aber schon meinte Mutter wieder: »Ja, ha, du bist ja gut! Die Verwandten? Jetzt im Sommer hat doch kein Mensch Zeit! Da ist doch alles aufm Feld! … Und unsere Verwandtschaft? … Du weißt doch, wie weit die alle weg sind. Die
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