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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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hatte versprochen, mit zwei Gendarmen die verdächtigen Häuser im Vilz abzusuchen, denn – war seine Meinung gewesen – »bloß die Gegend, wo nichts als nichtsnutzige Lumpen hausen, sei dringend verdächtig«. Der Girgl als Vilzler mochte ihn wohl etwas betroffen angesehen haben, doch der Oberwachtmeister polterte derart drauflos, daß es geraten schien, ihn allein zu lassen. Die Suche der Gendarmen brachte nicht das mindeste zutage. Der Oberwachtmeister kam grimmig nach Aufhausen und stellte ein langes Verhör an. Er fuhr die Bäuerin an, er fuhr die Kinder an, den Girgl und die Mägde. Er notierte alles und ging davon. Als er weg war, ging der Girgl zur Bäuerin in die Kuchl. Da stand die Resl.
    Er besann sich kurz, dann fing er behutsam an: »Bäuerin, ich will nichts sagen … Nei – nein, ich möcht’ keinen verdächtigen, aber –« Er brach ab.
    »Was aber?« fragte die Heimrathin und sah ihn scharf an.
    »Ich habe hin und her überlegt. Es kann doch bloß einer gewesen sein, der sich im Haus aus’kennt hat«, tastete der Girgl weiter und wurde schon wieder ängstlich, »aber nein – nein, ich will nichts gesagt haben! Mir ist bloß so …«
    »Du meinst, der Gauzner-Michl?« sagte die Heimrathin geradeheraus. Der Girgl machte ein sehr betretenes, unglückliches Gesicht und sagte weder »Ja« noch »Nein«, er bat nur wiederum, sie sollten um Gottes willen nur ihn nicht ins Gerede bringen. Zwei Tage darauf fuhr die Heimrathin mit dem alten Lechner nach Wolfratshausen und gab den Michl als dringend verdächtig an. Die Gendarmen kamen zu ihm ins Haus und suchten und fragten stundenlang. Vergeblich. Alle weiteren Nachforschungen machten unter den Vilzlern nur böses Blut, und nichts kam dabei heraus. Im Gegenteil! Der Heimrathin kam sogar einmal zu Ohren, sie sollte nicht allzu neugierig sein, besser sei es, sie würde aufpassen, daß nicht eines Nachts ihr Hof zu brennen anfinge. Diese böse Drohung machte die verschreckten Aufhauser noch unsicherer. Am unglücklichsten war der Girgl. Er bereute bitter, daß er so vorschnell geredet hatte. Bedrückt ging er herum und lugte, wenn er allein war, stets scheu nach allen Seiten. Er wagte nicht mehr, in den Vilz hinüberzugehen und vermied ängstlich, sich zur Nachtzeit vom Hof zu entfernen. Er wußte nur zu genau, wie locker das Messer bei den Torfstechern saß. Ein armer Mensch betrügt sich immer selber, mag er auch noch so behutsam rechnen. Hält er sich zu auffällig an seinen Brotgeber, dann feinden ihn die an, die seinesgleichen sind. Schlägt er sich auf die Seite der Seinen, so trifft ihn die Ungnade des ersteren. Unruhig und mißmutig sagte der Girgl einmal zur Resl: »Bloß weil jedes von euch so geflennt hat, hab’ ich mich hinreißen lassen! Jetzt hock’ ich in der Patsche! Wenn mir was passiert, da hilft kein Mensch!«
    Die Resl schaute nur trübselig drein und wußte nichts zu erwidern. Die Heimraths schickten sich schließlich in ihr Unglück. Zum Oberwachtmeister, der noch einige Male kam, sagte die Bäuerin: »Unser Herrgott wird den Lumpen schon strafen. Mich kümmert er nimmer.«
    »Pflicht ist ganz einfach Pflicht! Wir erwischen den Kerl schon noch!« rief der Oberwachtmeister, doch die Heimrathin tat gleichgültig und meinte, sie lege keinen Wert mehr darauf, Glück bringe dem Dieb das Leinen gewiß nicht.
    Gleich dem ungestüm hervorbrechenden Frühjahr, das allenthalben die letzten Winterreste hinwegfegte, so überflossen auch dieses Ereignis andere Dinge. An einem kalten Sonntag, der von einem klar erblauten Himmel überwölbt war, stand der Bürgermeister Fink auf der Treppe seiner Wirtshaustüre und schrie den Leuten, die aus der Pfarrkirche kamen, laut und belebt entgegen: »Der Krieg wird bald aus sein! Bloß noch ein bißl Militär muß im Feindesland bleiben! Das meiste kommt heim! Unsere Männer werden bald wieder da sein! Unsere Majestät, der König Ludwig, er lebe hoch! hoch!« Er hatte ein verwichtigt rotes Gesicht und fuchelte mit seinen kurzen Armen.
    »Hoch!« schrie er abermals mit seiner fetten Stimme, und es klang förmlich schimpfend, weil niemand mit einstimmte. Erst jetzt riefen da und dort einige, aber ihr trokkenes »Hoch« klang eher erzwungen als begeistert. Wie der Fink berechnet hatte, so kam es. Die älteren Bauern suchten seine Wirtsstube auf, dort erfuhren sie Genaueres. Sie kamen in ihre Dörfer zurück und brachten die Botschaft, daß der Waffenstillstand abgeschlossen sei, in Frankreich gehe es

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