Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Sippschaft mag uns doch nicht und ist uns neidig!«
Dieses bescheidene »uns« stimmte die Kathl endgültig um. Sie trug das Brot wieder aus und gab sich alle Mühe, es den Kundschaften und Maxl recht zu machen.
Das Alte stirbt
In diesen kritischen Tagen fing der alte Stellmacher zu kränkeln an. Aussah er mit seinen achtundfünfzig Jahren schon lange wie ein abgezehrter, steifknochiger Greis. Seine spärlichen, langen, dünnen Haare waren schlohweiß und das eingefallene, unheimlich gelbe Gesicht glich einem Totenkopf. Nur die dunkeln, tiefliegenden, sonderbar friedlos glänzenden Augen lebten noch darin. Seine hünenhafte Gestalt war leicht zusammengeschrumpft und nach vorne gebeugt. Er hüstelte fortwährend, und dabei überlief ein feines Zittern seinen gekrümmten Rücken. Während er früher manchmal eine gute Weile grübelnd dagesessen und überhaupt in allen seinen Bewegungen eine eigentümlich eckige Langsamkeit gezeigt hatte, konnte er jetzt kaum mehr ruhig bleiben. Es erging ihm wie den meisten Menschen, die von der panischen Furcht des nahen Todes ergriffen werden, – er suchte sich immerzu mit irgend etwas zu beschäftigen, gleichsam als wolle er feststellen, daß noch Leben in ihm sei. Schon öfter hatten ihn der Maxl und die Stellmacherin gebeten, er solle sich niederlegen oder wenigstens an den prallsonnigen Sommertagen sich auf die schattige Bank vors Haus setzen. Er gönnte sich keine Rast. Er wollte keine Stille. Beständig ging er herum, bald begann er in der Werkstatt eine Arbeit und ließ sie nach einiger Zeit wieder liegen, bald spaltete er Brennholz für den Backofen im Schuppen, auf einmal fiel es ihm ein, in den Wald zu gehen, ohne daß er recht wußte, zu welchem Zweck, und zum Schluß kam er auf den schmalen Kartoffelacker, betrachtete die grünen Stauden, riß ein Büschel aus der Erde und prüfte die noch winzigen Knollen daran. Die Stellmacherin mußte ihm einen gallebitteren gemischten Kräutertee kochen. Er trank ihn heiß in sich hinein und kam ins Schwitzen. Er schnaubte schwer und brummte: »Ah, das tut mir wohl.« Ganz kurz starrte er unruhig ins Leere und rührte sich plötzlich wieder ruckhaft, fast erschreckt.
In der Frühe an einem Tag richtete er sich auf in seinem Bett und ächzte kaum vernehmbar. Er brach wieder auf das Kissen nieder, atmete tief und versuchte sich abermals aufzurichten. Es ging nicht. Die Stellmacherin, die schon aus dem Bett gestiegen war und dürr und gekrümmt dastand in ihrer Nachtjacke, schaute ihn an und fragte: »Ist dir was?« Ihr Gesicht war grämlich und bekümmert. Der Alte klagte über starkes Ohrensausen. Er war sehr blaß und bewegte sich nicht.
»Sollen wir den Starnberger Doktor holen?« fragte sie. Er machte eine abwehrende Bewegung mit der rechten Hand und meinte: »Was der schon sagt! Verlangt bloß einen Haufen Geld, und helfen tut’s doch nicht.«
»Ich bring’ dir deinen Tee«, gab die Stellmacherin zurück und ging aus der Kammer. Nach einigen Minuten kam der Maxl an das Bett des Kranken. »Vater? Was ist’s denn?« fragte er, »ich lass’ den Doktor kommen.« Der Alte sah ihm in die unruhigen Augen und sagte wehmütig: »Hm, Maxl? Jetzt hab’ ich meiner Lebtag gerackert und gespart. Nicht gesoffen und gelumpt hab’ ich. Nicht einmal sechzig Jahr bin ich alt, und jetzt soll ich sterben, hm …« Seine schmalen Lippen klappten zu, bebten ein wenig, und die spitzen Schnurrbarthaare erzitterten mit.
»Ah, sterben? So schnell geht das nicht, Vater!« wollte ihn der Maxl trösten, aber über die Züge des Alten huschte eine solche Ungläubigkeit, daß er schwieg. Stumm sahen sie einander an. Die aufsteigende Sonne fiel schräg durch die leicht verstaubten Fenster und erhellte den niederen Raum. Aus der offenen Stalltüre des Nachbarhauses drang das dumpfe Muhen der Kühe.
»So eine Kuh hab’ ich immer haben wollen. Es hat nie gelangt dazu«, murmelte der Stellmacher wie aus einem ohnmächtigen Schmerz heraus und atmete schwer. »Maxl, eine Kuh ist viel wert, wenn so viel Leut’ im Haus sind …« Die Stellmacherin kam mit der großen, dampfenden Teetasse zur Türe herein. Ein Geruch von Lindenblüten und Kamillen durchzog die Kammer. Der Maxl öffnete einen Fensterflügel. Der jubelnde Gesang der Vögel belebte die klare Frühluft. Beim Kramerfeicht drüben schob die Fanny den vollen Mistkarren auf den Düngerhaufen. Das Rad quietschte. »Soso, trink nur! Laß ihn nicht kalt werden! Trink!« sagte die Stellmacherin und
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